Lustlosigkeit oder der ausbleibende bzw. nur mit Mühe zu erreichende Orgasmus sind die Themen, mit denen Frauen regelmäßig zu mir in die Sexualtherapie kommen – oft hängt beides auch zusammen (denn wenn etwas wenig Spaß bereitet bzw. viel Anstrengung kostet, dann macht es nicht gerade Lust auf mehr).

Der weibliche Orgasmus:

Über den weiblichen Orgasmus gibt es viele Mythen- der am weitesten verbreitete ist, dass eine Frau entweder klitoral oder vaginal kommt. (Übrigens kommen nur ca. 30 % aller Frauen durch Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt!)

Ist es Zufall, dass manche Frauen einfach beim Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommen? Glück? Oder einfach Anatomie? Oder hängt es davon ob, dass diese Frauen sich besonders gut entspannen können?
Eines vorweg: der sogenannte vaginale Orgasmus (also ausgelöst beim Sex durch Penetration) entsteht meist durch eine Stimulation von Klitoris und Vagina.

Der Orgasmus der Frau wird noch nicht lange erforscht- und es ist auch noch nicht so lange, dass man die weiblichen Genitalien richtig abbildet (vergl. auch meinen Blog zum Thema „Vulva- Scheide- Klitoris- oder wie heißt das denn „da unten rum?“). Der größte Teil der Klitoris liegt im Körperinneren der Frau, misst 8 cm und schwillt- genau wie der Penis- bei Erregung an. Alleine der Klitoriskopf hat bis zu 8000 Nervenzellen – das sind doppelt so viele wie in der Eichel des Penis!

Woran liegt es, dass wir das oft nicht wissen? Man kann sicher darüber nachdenken, dass lange Zeit Wissenschaft eine Männerdomäne war, weil Frauen schlichtweg nicht studieren durften. Und es spielt sicher auch eine Rolle, dass der weibliche Orgasmus für die Fortpflanzung nicht wichtig ist: ob die Frau einen Höhepunkt oder zumindest Spaß am Sex hat, spielt keine Rolle dafür, ob sie schwanger wird oder nicht.

Die gute Nachricht hierbei ist: Sex ist lernbar; Lust auch!

Da jeder Körperteil Nervenzellen und Sensoren hat, die mit dem Gehirn über Nervenbahnen verbunden sind, müssen diese Körperteile regelmäßig berührt werden, damit sich ihre Leitung vergrößert. Oder anders ausgedrückt: je dicker die Nervenbahn zum Gehirn, umso schneller und intensiver ist das Gefühl. Man kann sich das etwa so vorstellen: auf einer gut beschilderten Autobahn ist der Weg leichter zu finden, als auf einem zu gewucherten Trampelpfad im Dschungel.
Wenn nun Frauen die Verbindung zwischen Vagina und Gehirn selten nutzen, dann empfinden sie beim Geschlechtsverkehr auch wenig(er), weil das Gehirn an dieser Stelle wenige Synapsen (d.h. wenige Verbindungen) hat, die den Impuls weiterleiten können. Man kann das sofort verstehen, wenn man sich klar macht, dass z.B. unsere Finger viel sensibler sind als unsere Zehen, weil wir sie viel häufiger einzeln benutzen. Die Vagina ist manchmal einfach nicht „trainiert“ und muss erst „aufgeweckt“ werden.

Die Sensibilisierung passiert wie bei allen Fertigkeiten (z.B. dem Erlernen eines Instrumentes) durch üben, üben und nochmals üben. Dabei sollte Frau regelmäßig alleine üben, denn je besser sie ihren Körper kennt und erlebt (also be-greift!), desto besser kann sie auch ihrem Partner erklären, wie er ihr Lust bereiten kann. (Das kann sie mit Worten und/ oder Taten tun). Das Üben sollte übrigens mehrmals pro Woche stattfinden (es muss dafür nicht lange dauern; der Körper lernt aber durch Wiederholungen).

Wie kann Frau sich nun dem vaginalen Orgasmus nähern?

Das erste „Training“ der Frau, die ihre Vagina erwecken möchte, sollte mit dem Erkunden der Scheide mit dem Finger (oder den Fingern) beginnen, um eine innere Wahrnehmung zu entwickeln (was man durch den Blick in einen Handspiegel alleine nicht erreichen kann. Natürlich ist es auch wichtig zu wissen, wie es „da unten rum“ aussieht und wie die Organe benannt werden).

Die Vagina (Scheide) ist ein dehnbarer Schleimhautschlauch

der von einer dünnen Muskelschicht umgeben ist. Im ersten Drittel ist sie sehr berührungsempfindlich; weiter hinten reagiert sie vor allem auf Druck und Dehnung. Deswegen empfinden viele Frauen ein „rein-raus“ beim Geschlechtsverkehr nicht so erregend. Eher sind kreisende Bewegungen stimulierend und seitlicher Druck auf die Wände der Vagina durch schaukelnde Bewegungen wie z.B. Beckenkreise.

Die Vagina ist vom Beckenbodenmuskel umschlossen und stellt sich wie ein Ballon bei Erregung auf, so dass der Penis leichter aufgenommen werden kann. Bei Angst oder Schmerz verspannen die Beckenbodenmuskeln, was bis zu einer Verkrampfung gehen kann (Vaginismus). Dann hat die betroffene Frau das Gefühl, ihre Scheide sei zu eng für den Geschlechtsverkehr. (Vaginismus ist übrigens im Rahmen einer Sexualtherapie gut behandelbar!).

Und was hat es mit dem „G-Punkt“ auf sich?

Aber zurück zum Erkunden der Scheide mit dem Finger: wenn Frau einen Finger einführt, fühlt sie am Anfang eine raue oder „gerippte“ Fläche in der Größe eines 2€- Stücks. Das ist der „G-Punkt“ (benannt nach dem deutschen Gynäkologen Dr. Ernst Gräfenberg, der ihn bereits 1950 (!) entdeckt hat). Dieses Klitorisschwellgewebe sitzt um die Harnröhre; deswegen kann es am Anfang auch zum Harndrang führen, wenn man es stimuliert. Bei weiteren Training kann Frau aber sogar dort zum Orgasmus kommen. Das Ziel dabei ist folgendes: je mehr Zonen trainiert und stimuliert werden (also nicht nur die Klitoris, die viele Frauen ja kennen, sondern auch der Scheideneingang, der G-Punkt und die Scheidenwände), desto mehr empfindet eine Frau mit der Zeit beim Geschlechtsverkehr. Der klitorale Orgasmus wird größtenteils am Kitzler empfunden, während der Orgasmus, bei dem Scheide und Klitoris gleichzeitig stimuliert werden, als intensiver und umfassender von Frauen beschrieben wird. Außerdem erweitert sich einfach das Spektrum der Möglichkeiten, weil Frau dann nicht mehr darauf angewiesen ist, dass ihr Partner sie genauso an der Klitoris stimuliert, wie sie es selber macht. (Viele Frauen berühren bei der Selbstbefriedigung nur ihren Kitzler, während beim Geschlechts-verkehr halt hauptsächlich die Vagina stimuliert wird).

Es liegt ja buchstäblich erst einmal „nahe“, dass Mädchen zuerst ihre Klitoris(perle) entdecken, weil sie außerhalb des Körpers liegt. Und mit der Vagina sind die ersten Erfahrungen oft nicht so positiv, weil Mädchen sie häufig erst bei der Menstruation kennen lernen, (und die ist manchmal schmerzhaft), bei der ersten gynäkologischen Untersuchung oder wenn es einen Pilz gibt.

Der erste Schritt zum vaginalen Orgasmus geht also darüber, dass Frau bei der Selbstbefriedigung darauf genau achtet, wie sie sich anfasst und dann versucht, ein kleines Detail zu verändern, z.B. die Geschwindigkeit, mit der sie die Bewegungen ausführt, den Druck oder die Körperspannung.

Übrigens: ein Kind hat einfach Spaß an schönen Gefühlen und versucht, diese zu wiederholen. Erst durch die Reaktion der Erwachsenen darauf lernen wir, dass „sich das nicht gehört“, wobei Mädchen noch immer mehr eingeschränkt oder sogar sanktioniert werden als Jungs, die sich anfassen.

Also, in dem Sinne: viel Spaß und Geduld beim Üben und „aufwecken“, liebe Frauen! Da unsere Lebenserfahrung uns ja zeigt, dass man alle Dinge üben muss, in denen wir gut werden möchten (sei es, ein Instrument zu spielen, eine Sprache zu erlernen oder mit dem Smartphone umzugehen), ist es doch erstaunlich, dass wir beim Sex häufig denken, es müsste „einfach so“ klappen. Und lassen Sie sich nicht entmutigen! Bei den ersten Berührungen kann es sein, dass Sie kaum etwas empfinden oder sogar etwas Unangenehmes (weil das Gehirn diesen Reiz noch nicht richtig einordnen kann). Das ändert sich aber im Laufe der Zeit. Versprochen! Es lohnt sich!

P.S. Wenn Sie bisher mit einem Vibrator zum Orgasmus kommen, so ist das grundsätzlich ja in Ordnung. Allerdings kann der Penis nicht vibrieren. Wenn Frau also lernen möchte, bei der Penetration zum Höhepunkt zu gelangen, sollte sie es bei der Selbstbefriedigung auch ohne Hilfsmittel üben.

Weiterlesen: Dania Schiftan: Coming soon- in 10 Schritten zum vaginalen Orgasmus

Petra Schmitz-Blankertz

Petra Schmitz-Blankertz

Paar- und Sexualtherapeutin, Suchttherapeutin, Diplom-Sozialarbeiterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie

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