Pornosucht – Teil 3:  Die Auswirkung auf die Partnerschaft und der Weg raus aus der Sucht

männliche Sexualität, Sexsucht, Sexualität, Sexualtherapie

Zuerst einmal eine gute Nachricht: in der neuen internationalen Klassifikation der Erkrankungen, der IDC 11 (steht für „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems”) wurden die Computerspielsucht und die Sexsucht endlich als Diagnose aufgenommen. Jahrzehnte haben WissenschaftlerInnen und TherapeutInnen darüber diskutiert und gestritten.

Warum das eine gute Nachricht ist? Je besser eine Krankheit erforscht und verstanden wird, desto bessere Hilfen  und Therapiemöglichkeiten können entwickelt werden. Und: Nur „anerkannte Krankheitsbilder“ dürfen von ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen offiziell behandelt werden und  dann wird die Behandlung auch von den Krankenkassen bezahlt.

(Wer dazu weiterlesen möchte: es handelt sich um die Diagnose „zwanghaftes Sexualverhalten“,(ICD-11-Code 6C72. Experten schätzen die Zahl der Sex- und Pornosüchtigen in Deutschland auf eine halbe Million bzw. auf 2-6% der Bevölkerung, die meisten männlich. Die Dunkelziffer ist allerdings hoch).

Wie kommt es denn vom gelegentlichen Pornokonsum zur Sexsucht?

Als Suchttherapeutin mit 34-jähriger Berufserfahrung in der Beratung von allen möglichen Süchten weiß ich, dass die Phasen einer Sucht oft ähnlich verlaufen:

  1. Phase: der Konsum ist aufregend und macht Spaß, es wird Dopamin in Hülle und Fülle ausgeschüttet, man fühlt sich großartig. Den eigenen Kick kann man sich im Internet rund um die Uhr besorgen oder über Dating-Apps life leicht andere Frauen (oder Männer) treffen. Sollte ein solches Date mal nicht die Erwartungen erfüllen (oder der angebliche Partner erscheint erst gar nicht zum Treffen)  – macht doch nichts! Dann versucht man es einfach einen Tag später mit einem neuen Sexpartner wieder.
  2. Phase: die ersten negativen Begleitsymptome werden spürbar: z.B. dass das Interesse am Partnersex abnimmt. Und auch beim Pornokonsum erlebt man die Reize nicht mehr so stark. Nun werden vielleicht Pornos mit neuen Inhalten gesucht (eventuell solche, die man früher abgelehnt hätte, z.B. mit aggressiven Inhalten oder mit Fetischen) oder es laufen mehrere Clips parallel. Das Dopamin wirkt nicht mehr wie früher (Fachleute nennen das eine „Toleranzsteigerung“). Beim Versuch, weniger oder gar nicht mehr zu konsumieren, wird man unruhig, gereizt und nervös. Der Konsum/die Masturbation wird immer mehr eingesetzt, um negativen Gefühlen wie Leistungsdruck, Angst, Einsamkeit oder Langeweile zu verdrängen.
  3. Phase: die Abhängigkeit
    Man kann den Konsum nicht mehr steuern, man macht weiter, obwohl es gute Gründe gäbe, aufzuhören. Dazu gehören z.B. Streit mit der Partnerin bis hin zu ernsten Beziehungsproblemen, Vernachlässigen von anderen Interessen wie Sport oder Freunde treffen, Ekel vor sich selber, Schuld- und Schamgefühle. Die Konsumzeiten nehmen immer mehr zu, obwohl man sich häufig gar nicht mehr zum Orgasmus bringen kann, ein Gefühl von Verzweiflung und/oder innerer Leere stellt sich immer öfter ein; insbesondere nach dem Konsum bzw. nach dem Orgasmus. (Nach meiner Erfahrung wird das dann erst einmal auch  als „Depression“ oder „Burn out“ vom Betroffenen bezeichnet).

Eine Sexsucht hat überhaupt nichts mehr mit Genuss zu tun, sondern führt in der Regel zu einem sehr hohen Leidensdruck, verstärkt durch Schuld- und Schamgefühle, die wir in der Sexualität sowieso recht schnell erleben, wenn wir das Gefühl haben: „ Das ist doch nicht normal bei mir!“ Bevor sich aber jemand eingesteht, ein ernsthaftes Problem zu haben, geht eine lange Phase von Sich-selber-etwas-Vormachen, Lügen und Verheimlichen voraus. Typische Gedanken sind z.B.: „Ich könnte jederzeit damit aufhören- aber ich will es eben nicht“ oder „ Das macht doch jeder“.

Die Auswirkungen auf die Partnerschaft:

Eine Pornosucht (und natürlich erst recht andere Formen der Sexsucht wie z.B. das suchtartige Aufsuchen von Prostituierten oder das suchtartige Daten oder Chatten mit Sexualpartnern) führt über kurz oder lang zu Problemen in der Partnerschaft und manchmal auch zu finanziellen Problemen. Am Anfang versucht der Betroffene, seine Sucht zu verheimlichen, indem die Partnerin angelogen wird. Diese merkt/ahnt zwar, dass etwas nicht stimmt, kann es sich aber oft nicht erklären. Wenn ein Mann in einer heterosexuellen Beziehung mit einer Frau lebt, die vielleicht nicht so selbstbewusst ist, kann es über eine längere Zeit gehen, dass sie sogar die Schuld bei sich sucht: Vielleicht will er nicht mit mir schlafen, weil er mich zu unattraktiv /zu dick/zu dünn/zu alt/zu langweilig findet? Oder liebt er mich nicht (mehr)?

Regelmäßig habe ich Paare in Therapie, wo der sexsüchtige Mann seine Partnerin über Jahre belogen (und z.T. betrogen) hat. Dass das ein unglaublicher Vertrauensbruch ist, den man nur sehr schwer aufarbeiten kann, ist sicher nachvollziehbar.
Nicht selten fangen die Partnerinnen nach Jahren des Leidens an, an ihrer eigenen Wahrnehmung zu zweifeln, weil sie spüren, dass etwas nicht stimmt, der Süchtige aber oft sehr überzeugend und teilweise auch aggressiv die Gespräche und Fragen abwehrt
. Oft stellen sich bei den betroffenen Männern eine angebliche Lustlosigkeit, Erektionsstörungen oder ein ausbleibender Orgasmus als Sekundärsymptom ein.

Die Partnerinnen schwanken dann zwischen Aggression und Depression hin- und her und versuchen, ihre Selbstachtung nicht komplett zu verlieren. Gleichzeitig quält sie regelmäßig die Frage, ob sie sich nicht doch besser trennen sollten.
Das Problem für die Angehörigen eines Suchtkranken ist, dass sie ihn nicht von seiner Sucht befreien können, solange er das nicht selber als Problem sieht und sich nicht helfen lassen will. Wenn Sie sich in dieser Situation befinden, dann sollten Sie für sich selber Hilfe und Beratung suchen (z.B. in einer Angehörigengruppe).

Und wenn der Süchtige dann Hilfe annehmen möchte – wie geht der Weg raus aus der Sucht?

Wenn Sie glauben, eine Sexsucht zu haben, dann sollten Sie auf alle Fälle Hilfe in Anspruch nehmen, denn die Wenigsten schaffen das ganz alleine! Der erste Schritt kann in eine Selbsthilfegruppe führen, wo Sie anonym und kostenlos über Ihr Problem sprechen können (alleine das ist schon sehr erleichternd!). So bekommen Sie Klarheit darüber, ob Sie süchtig sind. Diese Gruppen werden z.B. von den AS (den anonymen Sexsüchtigen) angeboten und haben schon vielen meiner Klienten sehr geholfen. Dort werden Ihnen Menschen, die ihre Sucht schon länger im Griff haben, Tipps und Adressen nennen können. Die Meetings finden Sie im Internet unter -> Anonyme Sexsüchtige (AS).

Und/oder Sie suchen einen Fachmann/eine Fachfrau, die sich mit diesem Thema auskennt. Das sind entweder BeraterInnen in Suchtberatungsstellen oder niedergelassenen SexualtherapeutInnen. PsychotherapeutInnen haben nach meiner Erfahrung in der Regel weniger mit diesem Thema zu tun und haben manchmal auch Berührungsängste.

Deswegen empfehle ich Ihnen, dass Sie schon bei der Terminvereinbarung konkret Ihr Thema benennen, damit der Fachmann/die Fachfrau die Gelegenheit hat, Ihnen zu sagen, dass er/sie sich eventuell zu wenig damit auskennt.

Die Therapie hat in der Regel die Abstinenz zum Ziel, auf jeden Fall vom  Pornokonsum. Ob der Betroffene auch – zumindest für eine Zeit – auf Masturbation verzichtet, muss individuell angesehen und besprochen werden. Es gibt dann meist in der ersten Zeit schwierige Momente, die wir als Suchtdruck bezeichnen: der Betroffene ist unruhig, fühlt sich oft getriggert, die Gedanken kreisen häufig um das Suchtmittel usw. Mit der Zeit nimmt der Suchtdruck zum Glück immer mehr ab, bis man eines Tages feststellt, dass man ihn schon länger nicht mehr hatte.

Eine „Konsumpause“ bzw. eine vereinbarte Zeit der Abstinenz bringt meist auch schnell Klarheit darüber, ob jemand süchtig ist. So hat ein Klient, dem ich das vor einigen Monaten vorschlug, auf die abendliche Masturbation zu verzichten,  mir schon in der Sitzung ehrlich gesagt, dass er alleine bei dem Gedanken daran bereits Schweißausbrüche bekommt.

In der Therapie werden dann gemeinsam mit dem Therapeuten/der Therapeutin folgende Themen bearbeiten:

  • Warum bin ich süchtig geworden?
  • Welche Defizite wollte ich damit kompensieren? Was habe ich vermieden?
  • Was muss ich für mich tun/in meinem Leben ändern, um ohne Suchtmittel zufrieden zu leben?
  • Welche Gefühle habe ich durch den Konsum verdrängt/ nicht wahrgenommen?
  • Wie kann meine Partnerin mir wieder vertrauen? Wie können wir unsere gemeinsame Sexualität wieder in Gang bringen oder verbessern?

Der Weg in die Abstinenz braucht Geduld! Fachleute gehen erst nach einem Jahr der Abstinenz von einer gewissen Stabilität aus. In dieser Zeit muss man sich intensiv mit sich selber auseinander setzen. Es hilft, wenn der Betroffene sich klar macht, wie lange er sein Suchtverhalten schon lebt (nach meiner Erfahrung sind es oft viele, viele Jahre, bevor sich jemand selber eingesteht, dass er ein Problem hat). So etwas kann man nicht in wenigen Wochen einfach „ablegen“.

Hinzu kommt, dass wir in einer Zeit leben, in der man den Betroffenen nicht mehr raten kann, den PC abzuschaffen oder kein Handy zu haben. Man kann diese Trigger nur zum Teil reduzieren (z.B. in dem man den PC nur bei offener Bürotür einschaltet oder das Smartphone nicht mit zur Arbeit nimmt, was zumindest in den ersten Wochen einer Suchtbewältigung helfen kann). Aber klar ist: kann der Alkoholiker die Kneipe meiden oder der  Junkie den Dealer, muss der Sexsüchtige mit der Zeit lernen, auf unvermeidbare Suchttrigger (z.B. halbnackte Frauen in der Werbung) nicht mehr zu reagieren, um nicht rückfällig zu werden.

Analog zu dem 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker ist der erste Schritt: Heute den ersten Porno NICHT ansehen und auf Masturbation verzichten! Und morgen? Dasselbe tun.

Das Motto dabei ist: Es ist keine Schande, krank zu sein, aber es ist eine Schande, nichts dagegen zu tun!

Wenn Sie sich jetzt selber Gedanken über Ihren Pornokonsum machen, dann könnten Ihnen folgende Fragen helfen, mehr Klarheit zu bekommen:

  1. Pornos sind zunehmend wichtig für mein Leben geworden.
  2. Ich nutze Pornos, um mich zu beruhigen oder um mich abzureagieren. Auf diese Art versuche ich, negative Gefühle los zu werden (z.B. Langeweile, Frust, Ärger, Traurigkeit, Einsamkeit,   Minderwertigkeitsgefühle, Versagensängste)
  1. Pornos verursachen mittlerweile Probleme in meiner Partnerschaft. (Oder: ich finde keine Partnerin, weil ich mich so viel mit Pornos beschäftige)
  2. Ich muss immer mehr oder immer länger Pornos sehen, um zum Orgasmus zu kommen. Ich brauche immer mehr (und/oder härtere) Pornos, um mein Bedürfnis zu stillen.
  3. Ich habe es nicht geschafft, meinen Pornokonsum einzuschränken, obwohl ich es wollte. Ich kann nur für eine kurze Zeit auf Pornos verzichten, werde aber schnell wieder rückfällig.
  4. Ich bin gestresst, wenn mich irgendetwas davon abhält, Pornos zu schauen.
  5. Ich denke ständig an Pornos, z.B. wann ich mir wieder einen ansehen kann.
  6. Ich glaube, der Pornokonsum hält mich davon ab, aggressiv zu werden.
  7. Ich werde innerlich unruhig, wenn ich keine Pornos sehen kann (oder ich bekomme Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme etc.).
  8. Ich kann nur noch  Anspannung abbauen, wenn ich Pornos schaue.
  9. Ich konsumiere stufenweise härtere Pornos, weil mir die bisherigen Pornos nichts mehr bringen.
  10. Ich konsumiere weiterhin Pornos, obwohl ich schon einige Nachteile dadurch habe (z.B. Beziehungsprobleme, Konzentrationsprobleme, Erektionsschwierigkeiten, wenig Lust beim Partnersex, zu viel Geld dafür ausgegeben oder sogar Verstöße gegen das Gesetz.)
  11. Ich kann damit nicht aufhören, auch wenn ich schon lange masturbiert habe und wahrscheinlich keinen Orgasmus mehr bekommen kann bzw. meine Genitalien schon schmerzen.
  12. Ich bin manchmal selber erschrocken über die Inhalte, die ich mir anschaue.
  13. Ich habe das Gefühl, die Kontrolle über meinen Konsum verloren zu haben.
  14. Nach dem Konsum fühle ich mich leer und schäme mich.
  15. Wenn mich jemand darauf anspricht, spiele ich das Thema herunter oder ich lüge und greife den anderen an.

Wenn Sie viele Fragen bejaht haben, sollten Sie das auf jeden Fall mit einem Fachmann/einer Fachfrau sprechen oder eine Selbsthilfegruppe besuchen.

Und lesen Sie bitte auch den ersten und zweiten Teil meiner Fachartikel über Pornosucht.

https://paar-fit.de/pornosucht-teil-2-was-macht-pornos-so-attraktiv/

https://paar-fit.de/pornosucht-wie-kann-sie-entstehen-teil-1/

Petra Schmitz-Blankertz

Petra Schmitz-Blankertz

Paar- und Sexualtherapeutin, Suchttherapeutin, Diplom-Sozialarbeiterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie

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