Seit einigen Jahren berate ich in meiner Praxis für Sexualtherapie sexsüchtige Klienten. Wenn ich darüber mit Freunden oder Bekannten spreche, kommt schon mal der flapsige Kommentar: „Sexsucht – das hätte ich auch mal gern!“.

Als Suchttherapeutin mit 33-jähriger Berufserfahrung weiß ich jedoch, dass eine Sucht alles andere als lustig ist, weil sie den Betroffenen und ihren Partnerinnen sehr viel Leid bringt.

(kurze Anmerkung: theoretisch können natürlich auch Frauen sexsüchtig sein. Oft zeigt es sich in einem übersteigerten Bedürfnis nach Sexualität und/oder schnell wechselnden Sexualpartnern. Nicht selten steckt dahinter der Wunsch, über Sexualität Bestätigung und Nähe zu bekommen. Da ich jedoch noch keine pornosüchtige Klientin hatte, werde ich hier ausnahmsweise nur die männliche Schreibweise benutzen).

Welche Ursachen für die Entstehung einer Sucht gibt es aus fachlicher Sicht?

Seit vielen Jahren sorgen sich Eltern um die Computernutzung ihrer Kinder, vor allem bei den Jungs. Das Verhandeln und Streiten über Medienzeiten ist sicher eines der Hauptthemen im Umgang mit den Jugendlichen zu Hause.

Zunächst fällt die Steigerung der Computer-Zeiten vielleicht noch nicht einmal auf, weil es gesellschaftlich sehr akzeptiert ist, am PC zu „arbeiten“. Die Eltern denken, der Jugendliche macht etwas für die Schule. Zudem freuen sie sich zunächst darüber, dass das Kind selbständiger wird und sich zunehmend alleine beschäftigen kann.

aber: Exzessiver PC- Gebrauch kann bei Jugendlichen zum Problem werden!

Eine wichtige Entwicklungsaufgabe in der Pubertät ist das Erlernen von Bewältigungsstrategien (dem sogenannten „Coping“) im Umgang mit negativen Gefühlen: der Jugendliche muss lernen, eine geeignete Beschäftigung zu finden wie z.B. Sport machen, sich mit Freunden treffen etc., um ein negatives Gefühl (wie z.B. Langeweile oder Frust) los zu werden. Wenn es ihm gelingt, wird das Belohnungssystem aktiviert und u.a. Dopamin ausgeschüttet, was dann ein gutes Gefühl macht.

Der Umgang mit Misserfolgen und Frustrationen muss in der Kindheit und Jugend erlernt werden.

Die Wahrnehmung und Regulierung von Gefühlen sind ebenso wichtige Fähigkeiten, um ein zufriedenes Leben zu führen, wie das Akzeptieren der eigenen Schwächen und Grenzen. Deswegen sind auch schwierige Erlebnisse wichtig, und Eltern sollten nicht versuchen, den Weg für ihre Kinder immer frei zu räumen, weil sie dann keine Frustrationstoleranz entwickeln können.

Natürlich kommen Kinder und Jugendliche heute auch sehr früh mit Porno in Kontakt. Man muss davon ausgehen, dass die ersten Pornos gemeinsam mit Gleichaltrigen auf dem Schulhof gesehen werden; meist bereits im Alter von 12 Jahren. Diese Erfahrungen sind zutiefst aufregend, erregend, aber auch verstörend. Jugendliche haben aber dadurch auch die Chance, etwas über Sexualität zu erfahren und es mit ihren Freunden zu teilen, was vor 30 Jahren für junge Leute nicht möglich war. Gleichzeitig können oder möchten sie nicht mit einem Erwachsenen darüber sprechen, der helfen könnte, das Gesehene besser einzuordnen.

Was ist nun das Reizvolle und vielleicht auch das Gefährliche am Pornokonsum bei Jugendlichen?

Das Gehirn lernt rasch, dass über den Pornokonsum und die meist damit einhergehende Masturbation Glücksgefühle hergestellt werden können. Schnell kommt dann die Vorfreude dazu, das „Erwartungsglück„, das uns dazu bringt, immer wieder dieselbe Situation aufzusuchen.

Glücksgefühle ohne Anstrengung sind sicher schön – aber nach einiger Zeit hinterlassen sie hinterher oft ein Gefühl von Leere oder sogar Traurigkeit. Und der Schlafmangel, der oft durch den nächtlichen Konsum entsteht, tut sein Übriges dazu. Das kann auf Dauer zu einem verminderten Antrieb führen, was den Teufelskreis weiter befeuert: der Konsument macht (zu) wenig (z.B. für die Schule oder für seinen Sportverein), geht Herausforderungen (immer mehr) aus dem Weg, erlebt Druck von außen. Er vermeidet vielleicht zunehmend reale Kontakte und lernt dadurch weniger über den Umgang mit Mädchen. Unsicherheiten, Ängste und/oder eine depressive Struktur, (die eventuell auch vorher schon ansatzweise vorhanden waren), nehmen zu, das Selbstwertgefühl sinkt immer mehr. Gerne flüchtet man sich dann wieder schnell in die schöne und aufregende Pornowelt, um sich diesen unangenehmen Gefühlen nicht stellen zu müssen.

Ähnlich verläuft es auch bei den Erwachsenen:

Zunächst dient der Pornokonsum vielleicht der Kompensation von beruflichem und/oder privatem Stress; quasi wie eine Auszeit aus dem Alltag. Dopamin und Serotonin werden dabei ausgeschüttet, man fühlt sich hinterher entspannt. Und beim Sex mit sich selber oder mit virtuellen PartnerInnen muss man sich mit negativen Gefühlen wie Unsicherheit, Ängste, Depression usw. natürlich erst gar nicht auseinander setzen.

Kommt es aber später dazu, dass bei zunehmenden Konsum auch berufliche und/oder private Aufgaben vernachlässigt werden, nimmt der Stress wieder zu. Und der kann dann wieder Anlass dafür sein, dass man die Entlastung durch Porno sucht; der Konsum nimmt an Häufigkeit und Dauer zu. Schleichend kann daraus eine Sucht werden. Der Teufelskreis entsteht, weil man zur Verdrängung oder Vermeidung von Problemen Pornos konsumiert, und am Ende wird der Konsum selber zum Problem.

Onlinesexsucht gibt es als Pornosucht (d.h., es werden Bilder oder Filme konsumiert, meist einhergehend mit exzessiver Selbstbefriedigung) oder sie wird interaktiv praktiziert (Chatten, mailen, Interaktionen über Webcams mit mehr oder weniger ausschließlich sexuellen Handlungen).

Sucht hat immer auch etwas mit der fehlenden Fähigkeit oder Bereitschaft zu tun, Spannungen auszuhalten und die eigenen Bedürfnisse aufzuschieben.

Besonders bei den interaktiven Praktiken kann Mann schnell das Gefühl bekommen, heiß begehrt und omnipotent zu sein, was das narzisstische Bedürfnis befriedigt. Die Bedürfnisse des anderen sind unwichtig, man muss sich keine Gedanken über ihn/sie machen. Unangenehme Gefühle wie Versagensängste, innere Leere oder Minderwertigkeitsgefühle werden nicht mehr wahrgenommen und selbst aggressive Impulse können ungestraft ausgelebt werden (man denke nur an die üblichen „Namen“, die Männer Frauen in Pornos geben).

Die Dunkelziffer ist natürlich sehr hoch; über Sexsucht wird vermutlich noch weniger gesprochen als über andere Süchte. Auch die Betroffenen verdrängen ihr Problem lange. Beim Thema Pornokonsum gibt es die sehr verbreitete Meinung, dass „das doch jeder tut“ – und es deswegen nicht schlimm sein kann. Dies bestätigen sich sicher häufig Männer gegenseitig (und verschenken dabei vielleicht manchmal die Gelegenheit für ein ernsthaftes Gespräch mit einem Freund).

Onlinesexsüchtigen fällt es oft schwer, eigene Gefühle wahrzunehmen und darüber zu sprechen, aber auch, die Gefühle anderer zu verstehen. Die Sucht führt oft zu heftigen Beziehungskrisen und teilweise scheitern Beziehungen daran. Oder sie werden erst gar nicht begonnen!

Die Frage, ob jemand süchtig ist, kann nicht schnell oder leicht beantwortet werden, ohne dass der Betroffene sich sehr ehrlich mit seinen Konsummustern auseinandersetzt. Deswegen kann auch ein Experte nicht die (oft sehr quälende) Frage einer Angehörigen beantworten, ob ihr Partner pornosüchtig ist, ohne mit demjenigen selber zu sprechen. Noch vor kurzem hatte ich eine Klientin in der Beratung, die von mir wissen wollte, ob ihr Partner, der selten Lust auf Sex mit ihr habe, eine andere hätte oder zu viel Pornos sieht.

Nach meiner Erfahrung sind auch viele TherapeutInnen mit dem Thema Pornokonsum überfordert (Psychotherapie wird hauptsächlich von Frauen ausgeübt und die haben oft eine andere Einstellung zu dem Thema als Männer).

Ob der Pornokonsum und die damit verbundene Masturbation suchtartig ist, hängt u.a. von seiner Dauer, dem Inhalt und dem Gefühl ab, ob Mann die Kontrolle darüber noch hat. Ich habe Klienten beraten, die sich mehrfach am Tag selber befriedigen mussten und damit manchmal Stunden am Tag (oder in der Nacht: „Schatz- geh schon mal ins Bett; ich check´ nur noch kurz meine Mails“) zubrachten. Und das auch in sogenannten „unpassenden Situationen“, also z.B. während der Arbeit oder zu Hause am PC, obwohl sie wussten, dass ihre Partnerin darunter leidet und darauf wartet, dass sie ins Bett kommen oder die Kinder in der Nähe waren. Ein Klient berichtete mir z.B., dass er an manchen Wochenenden gar nicht mehr das Haus verlassen habe und nur noch konsumierte. Ein anderer beschrieb, dass er mehrmals in einer Schicht mit dem Handy auf der Toilette verschwand, vor der sich gelegentlich wartende Kollegen versammelten…

Extreme Beispiele? Ja, sicher. Aber jede Sucht entwickelt sich langsam und schleichend. Und ein „So schlimm ist es bei mir ja nicht“, dient oft der Selbstberuhigung und verhindert die ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema.

Fachleute diskutieren schon seit längerem, ob es sich bei dem Phänomen um eine Sucht, einen Zwang oder eine Impulsstörung handelt, was aber nach meiner Meinung auch damit zu tun hat, dass sich die Kostenträger davor scheuen, die Behandlungen zu bezahlen: Sucht ist bereits seit 1968 eine „anerkannte Krankheit“ und deswegen haben die Betroffenen ein Recht auf eine (häufig lange) Behandlung, die von der Krankenkasse oder der Rentenversicherung bezahlt werden muss. Bei der Spielsucht hatten wir in den 1990er Jahren dieselbe Diskussion, bis das „pathologische Spielen“ (damals meist an Automaten in Spielhallen, mittlerweile ja v.a. im Internet) 2001 endlich von den Kostenträgern als Krankheit anerkannt wurde. Ab da gab es in den Fachkliniken eigene Therapiekonzepte. Ich bin relativ zuversichtlich, dass es mit der Sexsucht in den nächsten Jahren ähnlich laufen wird.

Meine persönliche Meinung  in der Therapie mit Betroffenen ist, dass es sich um eine Sucht handelt und die akademische Diskussion der Fachleute diesen Menschen nicht hilft; ganz im Gegenteil. Deswegen spreche ich hier in meinen Fachartikeln von der Pornosucht.

In meinem nächsten Blog werde ich erläutern, woran man eine Pornosucht erkennt. Tests dazu finden sie auch im Internet.

z.B. https://www.suchtmittel.de/seite/interaktiv/tests/?test=10

Petra Schmitz-Blankertz

Petra Schmitz-Blankertz

Paar- und Sexualtherapeutin, Suchttherapeutin, Diplom-Sozialarbeiterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie

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