Künstlerische Darstellungen von Pornografie gab es bereits in der Antike. Wer je die erotischen Fresken vom antiken Pompeji gesehen hat, kann das bestätigen. Das Interesse an Sex ist so alt wie die Menschheit selber. Aktfotografie kennt man seit 200 Jahren, später kamen Sexfilme, Sexkinos und Sexvideokabinen hinzu. So manch einer erinnert sich vielleicht noch an die ersten Sexsender im Privatfernsehen in den 1980er Jahren oder an die ersten Sendungen von Tutti Frutti, die 1990 starteten und damals eine kontroverse Diskussion über Frauenfeindlichkeit auslösten.

Musste der interessierte Mann vor 30 Jahren noch verstohlen in die Videothek gehen, um sich einen Porno auszuleihen (und die Sorge haben, dort einen Bekannten zu treffen), so bietet das Internet seit Jahren alles, was man sich vorstellen kann. (Oder was sich Viele vielleicht auch nicht vorstellen können wie z.B. Sex mit Monstern, Tieren oder Comicfiguren, um noch das Harmloseste zu nennen).

Ist Pornos gucken denn nicht normal?

Ich möchte an dieser Stelle keine Zahlen nennen, die Sie – genauso wie ich- im Internet finden können und die zeigen, wie viele Menschen sich weltweit Pornos ansehen. Pornografie ist aus unserer Zeit nicht mehr wegzudenken. Wenn man unter „normal“ versteht, dass das doch „fast jeder“ tut – ja, dann ist es vermutlich „normal“. Kinder wachsen heute mit Pornos auf und sehen ihren ersten Sexfilm wahrscheinlich mit Gleichaltrigen auf dem Schulhof, bevor sie überhaupt den ersten Kuss erlebt haben.

Damit man mich nicht falsch versteht: als Sexualtherapeutin habe ich grundsätzlich nichts dagegen, wenn sich jemand ab und zu Sexfilme ansieht, um sich zu stimulieren und/oder sich selbst zu befriedigen, solange es für ihn (oder sie – es gibt ja auch zunehmend Frauen, die das nutzen) nicht schädlich ist – und die Beziehung oder die partnerschaftliche Sexualität nicht stört. Man kann sich sehr rasch ein gutes Gefühl machen, beim Orgasmus werden Glückshormone ausgeschüttet (v.a. Dopamin), man fühlt sich entspannt – warum also nicht?

Übrigens: unser Körper reagiert automatisch oder reflexartig mit Erregung auf Pornos.

In wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass Männer ihre Erregung wahrnehmen und benennen können, während es bei Frauen häufig eine Diskrepanz zwischen den körperlich/genitalen Reaktionen und der eigenen Einschätzung dazu gibt. D.h.  viele Frauen sagen zwar, dass sie Pornos nicht erregend finden, aber ihr Körper reagiert trotzdem meist eindeutig darauf.

Selbstbefriedung kann eine schöne und legitime Sache sein, wenn sie mit Selbstliebe einhergeht. Oder wie Woody Allen es ausgedrückt hat: „Masturbation ist Sex mit jemandem, den ich wirklich liebe.“

Wir wissen: das Gehirn reagiert stärker auf neue Reize, die man in Pornos immer wieder finden kann (Frauen mit unterschiedlichem Aussehen und Figuren, unterschiedlichem Alter, unterschiedlicher Kleidung, unterschiedlichen Szenarien, aber auch Sex mit mehreren Personen, mit Fetischen und, und, und). Und das Gehirn merkt sich auch, mit welchem Druck und mit welchem Rhythmus Mann sich bei der Masturbation anfasst! Wenn sich ein Mann nun sehr häufig selbst befriedigt, kann die Stimulation manchmal nicht mehr reichen, wenn die Partnerin es nur ein bisschen anders macht. Eine mögliche Folge: verzögerter oder ausbleibender Orgasmus sowie Erektionsstörungen.
So kann schnell ein Teufelskreis entstehen: der Partnersex ist frustrierend, während der Solosex durch immer neue Seiten und Inhalte der Pornos spannend bleibt. Schleichend kann sich eine Sucht entwickeln, weil das Gehirn mit immer neuen „Superreizen“ (Inhalt der Pornos mit gleichzeitiger Verstärkung durch den Orgasmus) gefüttert wird. Das Belohnungszentrum wird jedes Mal aktiviert, das Glückshormon Dopamin wird ausgeschüttet und triggert das Verlangen nach mehr: „Ein geiles Gefühl- das will ich wieder haben“. Wir wissen, dass Sex genau dasselbe Belohnungssystem im Gehirn anspricht wie Drogen. Und das kann Mann sich alles alleine (und mittlerweile auch meist kostenlos) beschaffen, ohne lange zu werben, zu verführen, zu betteln oder sonst etwas dafür tun zu müssen.

Mit der Zeit tritt aber eine Abnutzung ein: die Reize lassen in ihrer Wirkung nach. Im Porno geht es nur um rasche, körperliche Befriedigung; Themen wie Verliebtheit, Gefühle und Bindung kommen nicht vor und werden zunehmend vom Konsumenten* als „kompliziert“ erlebt.

(*Da ich bisher ausschließlich mit pornosüchtigen Männern gearbeitet habe, verwende ich hier ausnahmsweise nur die männliche Form).

Exzessiver Pornokonsum führt dazu, dass regelmäßig Männer in meine Praxis für Sexualtherapie kommen, die unter Erektionsstörungen oder einem ausbleibenden Orgasmus leiden (was früher typischerweise nur ein Thema bei älteren Männern war). Meist haben sie vorher beim Urologen abgeklärt, dass körperlich alles in Ordnung ist. Beim näheren Nachfragen stellt sich dann heraus, dass sie diese Probleme nur beim Partnersex haben, bei der Masturbation mithilfe von Pornos gibt es das Phänomen selten. Die, die in einer Partnerschaft leben, vermeiden aus Scham und Versagensangst immer mehr den gemeinsamen Sex. Manche Männer besorgen sich heimlich Viagra, einige gehen sogar so weit, heimlich Sex mit einer anderen Frau zu suchen, um heraus zu finden, „an wem es liegt.“

Häufig ahnen die Partnerinnen von all dem wenig und klagen über die angebliche „Lustlosigkeit“ ihrer Männer.

Die Suchtspirale wird weiter angeheizt: waren es früher vielleicht schöne Frauenbeine im Minirock oder ein vielsagender Blick der Partnerin, die Lust auf mehr machten, so reagiert mit der Zeit das Gehirn jetzt mehr auf das Hochfahren des Computers oder das aufregende Gefühl, endlich allein zu sein, wenn die Partnerin die Wohnung verlässt.

Hinzu kommt, dass unsere Smartphones so leistungsstark geworden sind, dass man sich auf jeder Toilette einen Porno ansehen kann. Diese Zeiten sind vorbei, wo der Computer im Büro abgestürzte, weil ein Kollege heimlich Pornos gesehen oder runtergeladen hatte oder der Geschäftsmann beim Auschecken aus dem Hotel einen roten Kopf beim Bezahlen der Rechnung bekam.

Schon jetzt hat manch einer das Gefühl, dass man heute „ein bisschen pervers“ sein muss, um nicht als prüde oder langweilig zu gelten. Es gibt mittlerweile keine Neigung mehr, die nicht schon kommerziell vermarktet wird: für jedes Interesse gibt es ein passendes Produkt oder einen passenden Sexualpartner, den man im Internet finden kann.
(Übrigens: eine interessante Idee ist, ob man die Pornoindustrie – ähnlich wie die Tabakindustrie –  nicht auch dazu gesetzlich verpflichten sollte, bei ihren Produkten einen Warnhinweis in Bezug auf mögliche Auswirkungen auf eine Partnerschaft oder ein Suchtrisiko zu geben? Warum soll diese millionenschwere Industrie weiterhin unglaublich viel Geld einnehmen und gleichzeitig die Finanzierung der Behandlung von Sexsüchtigen der Gesellschaft/dem Staat überlassen?)

Denn: Pornografie verändert schleichend unser Bild von Sexualität. Die Botschaft der Pornos besteht in der Regel darin, dass Frauen immer willig und geil sind (auch wenn sie von den Männern erniedrigend als Objekte behandelt werden). Und die bestbestückten Männer haben eine nicht enden wollende Erektion und können immer.

Bei welcher Personengruppe gibt es denn nun ein erhöhtes Risiko, süchtig zu werden?

Sicher kommt es – wie bei jeder anderen Sucht auch – auf die Dosis und auf die Lebenssituation an. Konsumiert z.B. ein junger Mann exzessiv, der bisher kaum Erfahrungen mit „realen“ Frauen hat, dann wird das zum einen sein Bild von Sexualität und Frauen prägen, und gleichzeitig wird es vermutlich dazu führen, dass er sich immer weniger traut, im wirklichen Leben auf das andere Geschlecht zuzugehen. Denn es verunsichert, wenn Mann sich mit diesen durchtrainierten und gut bestückten Pornodarstellern vergleicht, die stets und lange können und anscheinend ja genau wissen, wie man es den Frauen besorgt. Außerdem scheinen die echten Frauen auf so ganz andere Dinge wert zu legen, als die Darstellerinnen in Pornos – das kann verunsichern.

Und so kann leicht der Teufelskreis entstehen, aus dem Mann versucht, mit (Entschuldigung für den derben Ausdruck) „Frustwichsen“ zu entkommen, um sich nicht dem wirklichen Leben stellen zu müssen.

Ein regelmäßiger Pornokonsum kann aber auch bei einem erfahrenen Mann Probleme verursachen, wenn:

  • er immer häufiger masturbiert und dabei aber immer mehr Schwierigkeiten hat, zum Höhepunkt zu kommen und deswegen immer stärkere Reize sucht. Ein stundenlanges Masturbieren, ohne dass Mann einen Orgasmus hat, macht niemanden Spaß, kommt aber mit zunehmendem Abrutschen in die Sucht durchaus vor, weil die Nerven überreizt sind.
  • der Partnersex zunehmend als „zu kompliziert“ oder „zu aufwändig“ erlebt wird, weil Mann auf die Partnerin eingehen soll, die vielleicht auch eine emotionale Verbundenheit möchte, und nicht nur ein gegenseitiges schnelles Befriedigen
  • das eigene Kopfkino beim Partnersex immer häufiger als störend erlebt wird
  • oder sogar eine Erregung ohne Bilder gar nicht mehr möglich ist
  • der Orgasmus kaum noch als befriedigend erlebt wird und sich der Drang nach Masturbation schon kurze Zeit danach wiedereinstellt. (Häufig schildern mir Klienten, dass sie sich sogar unmittelbar nach dem Höhepunkt richtig schlecht fühlen und sich selber ablehnen). Das ist ja auch nicht verwunderlich, wenn man davon ausgeht, dass das eigentliche Bedürfnisse oft wenig mit Sex zu tun hat, sondern es z.B. darum geht, negative Gefühle wie Unsicherheit, Minderwertigkeitskomplexe, Ängste, Langeweile, Frustration zu verdrängen – und diese Gefühle kommen ja sofort wieder zurück, sobald die Aufmerksamkeit nicht mehr abgelenkt wird.

In meinem nächsten Blog (Pornosucht Teil 3) werde ich Wege aufzeigen, wie man aus der Pornosucht wieder herauskommt.

Und lesen Sie auch meinen 1. Blog zum Thema Pornosucht: https://paar-fit.de/pornosucht-wie-kann-sie-entstehen-teil-1/

Petra Schmitz-Blankertz

Petra Schmitz-Blankertz

Paar- und Sexualtherapeutin, Suchttherapeutin, Diplom-Sozialarbeiterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie

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