Masturbation gab es vermutlich schon immer, auch wenn Vertreter von Religionen und „Pädagogik“ oft versuchten, besonders die jungen Menschen davon abzuhalten. Dies geschah durch Kontrollen (z.B. indem man in Kinderheimen und Internaten nur mit den Händen über der Decke schlafen durfte) oder indem man den Jugendlichen mit Drohungen darüber Angst einjagte, dass die „Selbstbefleckung“ blind oder krank mache. Auch heute noch lehnen viele Menschen z.B. in der katholischen Kirche die Selbstbefriedigung als Autoerotik ab, da sich der Mensch von der „Ich-Liebe“ zur „Du-Liebe“ weiter entwickeln solle.
Auch im Islam ist die Selbstbefriedigung verboten, weil sie den Menschen „von seinem eigentlichen Lebensziel entferne“. Ähnlich wie die Katholiken, sieht man als ideale Sexualität die innerhalb einer Ehe an, wobei es nach dem Koran vor allem die Befriedigung des anderen gehen soll und nicht um die eigene. („Den eigenen Trieb kontrollierend, hat der Ehepartner vor allem die Lust und die Freuden des Ehepartners vor Augen“.) Quelle: Enzyklopädie des Islam.
Tun Sie es auch?
All dem zum Trotz: nach aktuellen Schätzungen befriedigen sich ca. 94% aller Männer und 80% aller Frauen. Selbst in sexuell zufriedenstellenden Partnerschaften läuft der Solosex (wie die Masturbation von Fachleuten genannt wird) oft parallel zur partnerschaftlichen Sexualität, da er kein langes Werben oder Verführen braucht und man sich schnell und ohne Leistungsdruck ein angenehmes Gefühl verschaffen kann. Oder er dient dem Ausgleich, wenn eine(r) von beiden öfter Lust auf Sex hat als der (die) andere.
Wissenschaftliche Umfragen zur Masturbation gibt es bereits seit den 1950iger Jahren. Begonnen hat es mit dem nach seinem Forscher benannten „Kinsey-Report“. Der amerikanische Sexualforscher Alfred Kinsey wies als erster nach, dass sich viele Menschen bis ins hohe Alter selbst befriedigen und dass Frauen, die es tun, eine größere Chance haben, auch die partnerschaftliche Sexualität zu genießen.
Am Anfang einer Beziehung sprechen Paare vielleicht noch viel darüber, was sie sich beim Sex wünschen. Freimütig berichten sich Paare, die vorher länger in einer anderen Partnerschaft waren, was sie dort beim Sex vermisst haben. Höchstwahrscheinlich tauschen sie sich dabei auch über das Thema Selbstbefriedung aus.
In meiner Praxis als Paar- und Sexualtherapeutin erlebe ich es hingegen immer wieder, dass Paare, die lange zusammen sind, das Thema Masturbation ganz zum Tabu machen. Auf die Frage „Befriedigen Sie sich manchmal selber“ oder „Können Sie sich selber zum Orgasmus bringen“, sehen sich die Paare oft unsicher oder verschämt an und antworten häufig mit „Darüber haben wir noch nie gesprochen!“
Es ist es doch erst einmal eine gute Sache, wenn Menschen sich ohne Schuldgefühle selbst befriedigen können. Als Sexualtherapeutin empfehle ich regelmäßig Klientinnen, mit sich zu experimentieren und sich selber auf den Weg nach ihrer Lust zu machen, denn wer weiß, welche Berührungen ihn stimulieren, kann das auch besser dem Partner/ der Partnerin vermitteln.
Auch für Männer mit Erektionsstörungen oder einem frühzeitigen Samenerguss ist es sinnvoll, wenn sie bestimmte Übungen erst einmal mit sich alleine ausprobieren, um ohne Leistungsdruck neue körperliche Erkenntnisse zu gewinnen (z.B. darauf zu achten, wie sie bei Erregung atmen, wie hoch die Körperspannung kurz vor dem Orgasmus ist und ob und wann störende Gedanken kommen).
Was hat sich geändert beim Solosex?
Was sich aber in den letzten 20 -30 Jahren bei der Masturbation enorm verändert hat, sind die Hilfsmittel, die mittlerweile benutzt werden. Reichten früher meist die eigene Hand und Fantasie, gibt es heute eine milliardenschwere Industrie von Pornografie und Sextoys.
Die Pornografie wurde durch die Verbesserung der PCs in den letzten 15 Jahren und damit einhergehend ihre enorme Datenspeicherungsmöglichkeit unglaublich vorangetrieben. Hinzu kam die Einführung des Smartphones: bis dahin hatten wir „nur“ mobile Telefone. Mit IPhone und co. zogen kleine Computer in die Hand- und Hosentaschen, die immer dabei sind und mit denen man überall ins Internet gehen kann. Gab es bis vor ein paar Jahren noch regelmäßig Abstürze der PC´s im Büro, weil ein Mitarbeiter während der Arbeitszeit eine Pornoseite besucht hatte, kann man dies jetzt ganz ohne Angst vor einer Abmahnung auf der Toilette mit dem eigenen Handy tun. Schon jetzt werden 67% der Pornos auf Smartphones gesehen – Tendenz steigend. Ich habe schon mehrmals von sexsüchtigen Klienten gehört, dass sie regelmäßig auf ihrer Arbeitsstelle auf der Toilette sich Pornos angesehen haben.
Hinzu kommt nun neuerdings die weite Welt der Virtual Reality: mit virtuellen 3-D- Brillen können Sie sich einen Porno ansehen und das Gefühl haben, selber ein Teil der Handlung zu sein. Und die Hauptfiguren können mithilfe von künstlicher Intelligenz durch „Deepfakes“ (das ist ein Kunstwort, das sich aus „deep learning“ und „fake“ zusammen setzt) ein anderes Gesicht montiert bekommen, z.B. ist dann ein Prominenter oder vielleicht die Exfreundin virtuell (aber sehr echt wirkend) sexuell aktiv.
(Pornografie ist ein eigenes Thema und über die Frage, wann es zu viel ist oder sogar in eine Sucht führt, werde ich in meinem nächsten Blog schreiben).
Sextoys- was gibt es Neues?
Die Sexindustrie hat in den letzten Jahren Frauen und Paare immer mehr als neue Zielgruppe für Sextoys entdeckt. Dildopartys oder der Sex-Adventkalender vor Weihnachten sind mittlerweile der Renner. Alle Toys werden in bunten Farben und z.T. mit Swarovskisteinchen seriös angeboten und haben nur noch wenig mit dem Ambiente der früheren Sexshops in Bahnhofsnähe zu tun. Das ganze Sortiment lässt sich einfach und diskret im Internet bestellen oder Frau lässt sich in einem einen der Sexshops beraten, die es mittlerweile auch ausdrücklich für weibliche Kunden gibt.
Auch hier könnte man sagen: es ist doch eine tolle Sache, wenn Frauen und Paare auf diese Art ihre Lust vergrößern oder sogar wieder zurück gewinnen – warum also nicht? Wo ist das Problem?
Für die meisten Frauen und Paare sind Sextoys wahrscheinlich eine Bereicherung und über die muss ich ja hier gar nicht weiter berichten. Ich möchte aber auf einen Aspekt in der weiblichen Sexualität eingehen, der den regelmäßigen Gebrauch von Vibratoren zu einem Problem werden lassen kann.
Dafür muss ich zunächst etwas zu den weiblichen Geschlechtsorganen erklären: in der Vagina (also der Scheide) befinden sich Rezeptoren, die vor allem auf Druck und Dehnung reagieren (also auf Penetration durch Penis oder Dildo ansprechen). Im Bereich der Klitoris gibt es Berührungs- und Vibrationsrezeptoren, die besonders auf schnelle Reizänderungen reagieren und die eine Schlüsselfunktion für den weiblichen Orgasmus haben.
das neue „Wunderding“- der Womanizer:
Durch den Einsatz von Vibratoren – und hier vor allem das neue „Wunderding für Frauen“, der „Womanizer“ (der gleichzeitig saugt und vibriert), kommen die meisten Frauen schnell und ziemlich problemlos zum Höhepunkt, was man vom Partnersex nicht unbedingt sagen kann. Wir müssen davon ausgehen, dass zwischen 50 – 75% aller Frauen alleine durch Penetration keinen Orgasmus bekommen können, wenn nicht zusätzlich die Klitoris stimuliert wird. Auf den Punkt gebracht, kann man sagen, dass der Geschlechtsverkehr für die meisten Frauen nicht die optimale Praktik ist, um zum Orgasmus zu kommen (für Männer allerdings schon).
Leider glauben einige Männer und Frauen, dass ein sogenannter klitoraler Orgasmus nicht so gut sei wie ein sogenannter vaginaler Orgasmus, was dazu führt, dass manche Frau ihrem Partner vielleicht nicht sagt, was sie beim Geschlechtsverkehr noch zusätzlich braucht. Und in den Sex- und Pornofilmen wird dieses Thema ja schlichtweg ignoriert: da stürzen zwei Menschen aufeinander und kommen in kurzer Zeit beide – natürlich problemlos und auch noch gleichzeitig – zum Höhepunkt. Wenn´s doch in der Realität auch so einfach wäre!
Der Womanizer kann hochfrequent und zuverlässig eine Stimulation über Luftschwingungen bieten (was vom Hersteller als „berührungslose Stimulation“ bezeichnet wird), an die keine Hand, kein Penis und keine Zunge heran kommen, weil kein Mensch diese Frequenz so nachahmen kann. Mit dem Sextoy (das 2014 auf den Markt kam und übrigens nicht ganz billig ist; er kostet zwischen 100 – 200€) sollen laut Hersteller angeblich 95% aller Frauen „garantiert“ innerhalb von 5 Minuten zum Orgasmus kommen.
So – wenn Sie jetzt neugierig auf das kleine Wunderding geworden sind, möchte ich noch etwas zu den „Risiken und Nebenwirkungen“ sagen: unser Gehirn lernt schnell, wenn Lustgewinn und damit Belohnung mit im Spiel sind. Wenn Frau nun regelmäßig (oder ausschließlich) mit einem Vibrator kommt, dann merkt sich das Gehirn: das ist angenehm, das bringt mich zum Orgasmus. Sie konditioniert sich quasi darauf. Mit der Zeit können dann die Berührungen des Partners/ der Partnerin als eher störend oder zumindest nicht zielführend erlebt werden, weil sie von dem Modus abweichen, den das Gehirn mit der Zeit gelernt hat. (Das gilt übrigens genauso für Menschen, die sich über eine längere Zeit immer nur auf eine bestimmte Weise selbst befriedigen und sehr empfindlich darauf reagieren, wenn der Partner nicht genau denselben Rhythmus und Druck nachahmen kann).
Um das zu vermeiden, ist es wichtig, die Berührungen flexibel zu halten oder zu gestalten und den gesamten Körper zu erotisieren (und nicht nur die Klitoris).
Wenn Sie dazu weitere Anregungen suchen, dann finden Sie diese auf der Website von omgyes.com. (Es ist die Abkürzung für „Oh my god –yes“). Hier wird auf leicht verständliche Weise erklärt, wie die weibliche Sexualität funktioniert und wie Frauen zum Orgasmus kommen können. Das Projekt ist von WissenschaftlerInnen entwickelt worden; es wurden 4000 Frauen dazu befragt. Es ist informativ und seriös und kostet zwischen 45 – 79€.
Oder Sie sehen sich die Sendung „Ohjaaa!“ vom WDR an, die Sie in der Mediathek finden.