Im zweiten Teil zum Thema weibliche Lust(losigkeit) möchte ich über therapeutische Hilfen sprechen.

Da ich nicht nur Sexualtherapeutin, sondern auch Paartherapeutin bin, beschäftige ich mich bei einem Paar zuerst mit der Frage, wie ansonsten die Beziehung aussieht, denn ganz oft kann man ein sexuelles Problem nicht unabhängig von der Partnerschaft betrachten. Es geht also um die (Un-) Zufriedenheit insgesamt.

Welche Fragen stellt man in der Sexualtherapie?

  • wie sicher fühlen sich beide in ihrer Beziehung?
  • wie viel Vertrauen und Verbundenheit gibt es bei beiden Partnern?
  • wie ist der Umgang miteinander? Gibt es eine gegenseitige Wertschätzung und Unterstützung? Geht man bei Konflikten fair und respektvoll miteinander um?
  • sind die Aufgaben/ist die Verantwortung einigermaßen gerecht verteilt? Gibt jede(r) dem anderen Anerkennung/ Lob/ Komplimente für das, was er/sie leistet?
  • gibt es Unbewältigtes aus der Vergangenheit, was zu tiefen Verletzungen geführt hat und einen oder beide daran hindert, sich sexuell wieder einzulassen (z.B. frühere Außenbeziehungen, exzessiver Pornokonsum oder auch das Gefühl, in Krisen vom Partner allein gelassen worden zu sein?)
  • gibt es gravierende Probleme wie Suchtmittelkonsum, Gewalt/Androhung von Gewalt, Suizidandrohungen, die vorrangig bearbeitet werden müssen?
  • Und zuletzt einfach: Gibt es überhaupt Raum und Zeit für Nähe und Zweisamkeit? (Oft ein Thema bei Paaren mit kleinen Kindern!). Und wie wird der gestaltet? Gibt es gemeinsame Interessen, gemeinsam verbrachte Freizeit? Tut der eine auch mal etwas dem anderen zu liebe?

Wenn das Paar vermittelt, dass beide im Großen und Ganzen mit ihrer Beziehung zufrieden sind, und der Mann beim Sex nicht egoistisch oder rücksichtslos vorgeht – dann soll es hier in meinem Blog um die (fehlende) weibliche Lust gehen. Die Klientinnen sagen dann z.B.: „Ich möchte ja gerne mit meinem Mann schlafen, und wenn wir es tun, ist es auch schön – aber ich habe einfach vorher nie Lust dazu. Und muss mich dann so aufraffen. Hinterher denke ich immer, ich sollte mich öfter darauf einlassen…“

In der systemischen Sexualtherapie fragt man (wie überhaupt in der systemischen Therapie) zunächst nach den Ausnahmen: „Gab es einmal eine Zeit, in der Sie Ihre sexuelle Lust erlebt haben und sie auch Ihrem Partner zeigen konnten? Und wenn ja, was war da anders?“

Wenn es solche Ausnahmen gibt, zeigt es, dass die Frau nicht grundsätzlich lustlos ist, und wir versuchen dann, den Zugang dazu wieder zu finden. Bei einem solchen Suchprozess geht es darum, heraus zu arbeiten, was damals anders war, z.B. an ihrer Lebenssituation, daran, wie sie sich als Frau gefühlt hat oder auch, was in der Beziehung zu ihrem Partner anders war.

Einzel- oder Paargespräch?

Manchmal ist es dann sinnvoll, mit der Klientin Einzelgespräche zu führen, da ihr die Beantwortung dieser Fragen u.U. schwerer fallen, wenn der Partner daneben sitzt, und sie befürchten muss, er könne gekränkt sein.
(Systemisch gesehen, wird ein Symptom in einer Paarbeziehung ja in der Regel als störend und belastend empfunden, hat aber gleichzeitig auch immer eine (unbewusst) stabilisierende Wirkung. Oder anders ausgedrückt: wenn sich ein solches Muster über Jahre etabliert hat, wird eine Veränderung zwar auf der anderen Seite herbeigesehnt, macht aber auf der anderen Seite auch Angst, da sie die Stabilität der Beziehung beeinträchtigen kann).

Häufig können Frauen sagen, was sie NICHT WOLLEN – in einem gemeinsamen Suchprozess im Einzelgespräch geht es dann darum, heraus zu finden, was sie ANDERS WOLLEN, nach dem Motto: „Okay, wenn Sie keine Lust mehr auf DIESE Art von Sex haben- wie könnte denn der Sex aussehen, für den es sich lohnt, dass Sie ihn wollen?“

Das Einzelgespräch kann also einen geschützten Raum bieten, indem die Frau sich ohne Druck (z.B. das dann auch gleich umsetzen zu müssen) ihren erotischen Ressourcen zuwenden kann. Manchmal müssen auch zunächst sexuelle Mythen aufgeklärt werden, z.B. über den vaginalen Orgasmus oder den G-Punkt.

Die eigentliche „Arbeit“ findet zwischen den Sitzungen statt:

Der Klientin werden dann Körperübungen erklärt, die sie bis zum nächsten Termin zu Hause machen kann, um das Erarbeitete nicht nur intellektuell zu verstehen, sondern auch körperlich zu erleben. Diese gehen zunächst in die Richtung, sich mit dem eigenen Körper vertraut zu machen und zu lernen, ihn so zu akzeptieren, wie er ist (viele Frauen lehnen ihren Körper oder zumindest bestimmte Körperteile von sich ab, werten sich innerlich immer wieder ab und sind auch beim Sex oft damit beschäftigt, dass der Partner etwas an ihnen zu dick, zu klein, zu faltig usw. finden könnte, was dazu führt, dass ihre Aufmerksamkeit nicht beim körperlichen Erleben ist).

Zunächst  beschäftigen wir uns mit den „Abtörnern„/ der Bremse:

„ Was muss Ihr Partner tun, damit Ihnen die Lust vergeht oder erst gar nicht aufkommt?“

Das können Frauen meist sehr gut beantworten. Sie beschreiben mir dann z.B.:

  • Es nervt mich, dass er mir ständig an den Hintern fasst – auch wenn ich beschäftigt bin; z.B. wenn ich beim Kochen bin.
  • Ich finde es nicht schön, wenn er mir sofort seine Zunge in den Mund drückt, ohne vorher mal „einfach so“ zu küssen.
  • Mich stört, dass es für meinen Mann immer Geschlechtsverkehr sein muss – alles andere ist für ihn gar kein Sex.
  • Ich bin abends oft total geschafft. Obwohl er das weiß, will er immer nach 23 Uhr mit mir Sex, wenn ich erschöpft im Bett liege.
  • Ich finde es abstoßend, wenn er sich neben mir im Bett selbst befriedigt. Er glaubt wohl, dass ich dann ein schlechtes Gewissen bekomme – aber ich finde das einfach ekelhaft.

Wenn Sie diesen Artikel lesen, können Sie vielleicht für sich eine Liste Ihrer persönlichen Abtörner machen (das gilt natürlich genau so für Männer!)

Im nächsten Schritt würde es dann um die „Antörner“ gehen

– da wird es oft schon schwieriger. Während Männer meistens schon durch visuelle Reize oder Fantasien Lust auf Sex bekommen, haben lustlose Frauen eine „neutrale“ Ausgangssituation, d.h. sie haben weder Lust, noch denken sie im Alltag an Sex. Hier beginnt dann oft der Teufelskreis: wenn der Mann vielleicht auf seiner Erregungsskala, die von 0-10 geht, bereits durch den Gedanken an Sex auf einer 3-4 ist, nähert er sich seiner Partnerin durch Berührungen oder Worte, die sie als aufdringlich empfindet, wenn sie auf ihrer Skala auf der 0 ist. (Dabei können dieselben Berührungen oder Worte an einem anderen Tag in einer andere Situation für die Frau stimulierend sein – das macht es für die Männer tatsächlich nicht leicht!)

Eine (lustlose) Frau muss sich zunächst einmal für Sex entscheiden – also vor allem dafür, dass sie den Sex will – und (wenn es auch paradox klingt) – auch dann, wenn sie (noch) keine Lust hat. Dann sollte sie sich auf die Suche nach ihren Antörnern machen. Hier kann die Sexualtherapeutin helfen, indem sie mit ihr bestimmte Szenen bespricht (durch das Aussprechen werden erst einige Dinge klarer, weil man spürt, ob das Gesagt zutrifft – oder vielleicht noch nicht ganz…) und/oder ihr auch entsprechende Literatur empfiehlt. Dafür eignen sich z.B. erotische Kurzgeschichten für Frauen, die Frau alleine lesen kann und dann spürt, ob sie bei ihr Interesse oder Erregung hervorrufen. Auch machen wir uns auf die Suche nach Fantasien (Achtung: Fantasien heißen nicht, dass man sie tatsächlich auch ausleben will!)

Natürlich muss eine Sexualtherapeutin auch immer darauf achten, ob es Hinweise auf schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit gibt – im schlimmsten Fall traumatisierende Erlebnisse in der Kindheit, aber auch Situationen, in denen eine Frau sich sexuell überfordert hat, weil sie einem Partner etwas nicht ablehnen konnte/wollte und ihre eigenen Grenzen zu wenig geschützt hat.

Von Relevanz sind natürlich auch Fragen danach, wie in der Herkunftsfamilie mit dem Themen Körperkontakt und Sexualität umgegangen wurde. Welche Botschaften haben die Eltern der kleinen Tochter (direkt oder indirekt) mit auf den Weg gegeben? Wie wurde in der Pubertät ihre weibliche Entwicklung gesehen? Wieviel Angst vor einer möglichen Schwangerschaft wurde ihr vermittelt usw.? Durfte/ darf sie sich als erotische Frau sehen und kleiden – oder gibt/ gab es diesbezüglich Tabus?

Hier könnte es z.B. eine Hausaufgabe sein, den Kleiderschrank in eher weibliche und eher lustferne Kleidung zu unterteilen – und morgens zu entscheiden, ob ich die Erotik heute in mein Leben hinein lassen will – oder auch nicht.

Und dann könnte die nächste Therapiesitzung so sein, dass man sich auf eine Fantasiereise begibt, in der die Klientin eine Reise zu ihrem erotischen Raum macht.

Interessant ist auch, ob es andere Lebensbereiche gibt, in denen sie genussvoll sein kann und sich lebendig fühlt? Oder hat sie eher ein Lebensskript, das vor allem Kontrolle und Leistung von ihr verlangt (und in der Sexualität geht es ja ganz viel um das Loslassen).

Sie ahnen es sicher schon – es gibt sehr viele verschiedene Aspekte bei diesem Thema, so dass man (wie immer in Psychotherapien) sehr individuell mit dem arbeiten muss, was die Klientin mitbringt.

Zum Schluss – ausgehend davon, dass wir uns in einer Paartherapie befinden-(der ganze Prozess ist natürlich auch in einer Einzeltherapie möglich) gibt es dann wieder Paarsitzungen, bei denen die Klientin unterstützt wird, das, was sie über sich erfahren hat, ihrem Partner zu vermitteln. Sie spricht also über ihre Abtörner und Antörner und überlegt, wie sie für sich eine erotische Situation aktiv(er) gestalten kann.

Lesen Sie auch den ersten Teil zu diesem Thema: https://wp.me/pazUHD-iP

 

Petra Schmitz-Blankertz

Petra Schmitz-Blankertz

Paar- und Sexualtherapeutin, Suchttherapeutin, Diplom-Sozialarbeiterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie

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