Kitzligkeit und andere Missempfindungen, die beim Sex stören (können)

Sexualität, Sexualtherapie, weibliche Sexualität

Kitzeln – das klingt erst einmal richtig nach Spaß, oder? Man stellt sich sofort Eltern vor, die ihre Kinder liebevoll kitzeln und diese lachen laut. Oder Jugendliche, die sich im Freibad kitzeln, um so einen langersehnten Körperkontakt herzustellen.

Aber vielleicht hat auch nicht jeder nur positive Vorstellungen von Kitzeln. Vielleicht erinnern Sie sich auch an Situationen, wo Sie – gegen Ihren Willen- festgehalten und gekitzelt wurden, obwohl sie das überhaupt nicht wollten? Und vielleicht haben Sie sich völlig hilflos gefühlt, hätten am liebsten „Hör sofort auf“ geschrien und konnten es nicht, weil sie – auch wieder gegen Ihren Willen- so lachen mussten, dass Sie kaum Luft bekamen. Oder sogar Angst hatten, in die Hose zu machen.

Kann Kitzligkeit auch ein Problem sein?

In meiner Praxis für Paar-und Sexualtherapie habe ich immer wieder mit KlientInnen zu tun, die so kitzlig sind, dass  der Partner sie kaum berühren kann, ohne dass sie verspannen und seine Hand wegschieben. (Sicherlich gibt es auch Männer, die von diesem Thema betroffen sind. Ich habe es bisher jedoch nur bei Frauen gesehen; deswegen wähle ich hier bewusst die weibliche Schreibweise, wobei auch betroffene Männer sich angesprochen fühlen können. Auch meine ich nicht nur heterosexuelle Paare).

 Natürlich kennen die Partner im Laufe der Zeit die kritischen Stellen (häufig sind es die Hüften, aber auch die Innenseite der Oberschenkel oder die Brüste) und fassen sie deswegen gar nicht mehr an, so dass es beim Sex regelrechte Tabuzonen gibt. Und wenn der Mann im „Eifer des Gefechts“ dann doch mal eine solche Stelle berührt, reagiert die Frau darauf höchst genervt.

Natürlich sollte man auf die Vorlieben des Partners Rücksicht nehmen, aber ich habe in meinen Paartherapien schon erlebt, dass der Mann NIE die Brüste seiner Partnerin berühren durften oder die Frau die Beine zusammen presst, wenn er ihre Oberschenkel anfassen möchte. Und die Betroffenen sind natürlich beim Sex alles andere als entspannt, können die Zärtlichkeiten oft nicht genießen, weil sie das Gefühl haben, jederzeit aufpassen zu müssen, ob es nicht wieder unangenehm wird.

Sicher: bei vielen Menschen sind Füße und Achselhöhlen kitzlig. Früher hat es die Lebenschancen erhöht, wenn ein Mensch schnell merkte, ob er von einem Tier oder einem Gegenstand berührt wurde, denkt man nur z.B. an giftige Schlangen oder Insekten. Das Gehirn unterscheidet zwischen Berührungen von außen und von uns selber. Wir können uns deswegen auch nicht selber kitzeln!  Äußerlich erzeugte Stimuli werden als stärker erlebte als selbst erzeugte; wir können uns ja auch nicht selber mit einer Berührung überraschen.

Bereits Charles Darwin hatte 1872 erkannt, dass es zu Kitzligkeit kommt, wenn jemand nicht weiß, wann eine Berührung erfolgt und wenn er das Gefühl hat, darauf keinen Einfluss zu haben. Auch Affen und Ratten sind übrigens kitzlig!

Wie oben beschrieben, kann derselbe Reiz als lustvoll oder als quälend erlebt werden; natürlich auch abhängig davon, wer ihn ausführt. Wir geben einer Berührung unsere Bedeutung: kitzelt uns der geliebte Partner, werden wir es höchstwahrscheinlich als angenehm erleben, wohingegen z.B. das Kitzeln des Nachbarn, den wir nicht mögen, als aufdringlich bewertet wird. Kitzeln kann auch als ein Ausdruck von Macht oder sogar Sadismus eingesetzt werden.

Im Mittelalter wurde das Kitzeln übrigens als Foltermethode eingesetzt: entweder wurde jemand barfuß festgebunden und die Schaulustigen konnten ihn mit Federn an den Füßen kitzeln oder man rieb ihm die Fußsohlen mit Salz ein und ließ sie von Ziegen ablecken.

Sicher gibt es auch Menschen, die ihre Kitzligkeit lieben bzw. sie sogar als lustvoll empfingen; die haben natürlich gar keinen Anlass, diesbezüglich etwas verändern zu müssen.

Was kann da helfen?

Für die anderen, die unter ihrer Kitzligkeit leiden, sei gesagt: man kann sie überwinden! Und häufig tritt danach ein größerer Genuss und ein stärkeres sexuelles Verlangen zutage. Und es kann sich dadurch auch in der Paardynamik etwas ändern, weil man wegkommt von „Nie darf ich dich anfassen- das ist doch nicht normal“ und „Immer wieder versuchst Du es, obwohl Du doch genau weißt, dass ich das nicht leiden kann – das ist egoistisch!“. Wenn diese inneren oder äußeren Vorwürfe wegfallen, dann kann jeder bei Berührungen wieder versuchen, mehr bei sich bleiben.

Schon in Tierversuchen konnte man nachweisen, dass Kitzeln nur dann als angenehm erlebt wird, wenn keine Angst da ist. Da Kitzligkeit auch immer etwas mit einem Kontrollverlust zu tun hat, können wir es nur dann genießen, wenn wir wenig ängstlich sind. Kitzlige Menschen haben meist das Bedürfnis, die Kontrolle über sich zu behalten.

Kitzligkeit hat manchmal mit Ängsten, teilweise auch mit schlechten Erfahrungen in der Kindheit zu tun!

Menschen, die so aufgewachsen sind, dass sie ihre Umgebung ständig beobachten mussten, um das Auftauchen von Problemen bei den Bezugspersonen so früh wie möglich zu erkennen, merken oft gar nicht, dass sie ängstlich sind, weil sie ihren Zustand der Anspannung für normal halten.

Besonders betroffen davon sind traumatisierte Menschen, die in ihrer Kindheit emotionale und/oder sexuelle Übergriffe erleben mussten; bei ihnen kommt es zu einer Störung der Synapsenverbindung zwischen der rechten und der linken Gehirnhälfte. Insbesondere die Regionen, die für die Verarbeitung von Emotionen eine Rolle spielen, sind eingeschränkt. Das kann dazu führen, dass einerseits Dinge übersehen und andererseits Dinge falsch miteinander verknüpft wurden  in Bezug auf Assoziationen. Kitzligkeit kann (unbewusst) also auch vor unerwünschten Berührungen schützen.

Wie kann man das nun überwinden und dem Gehirn die Möglichkeit geben, neue (bessere) Erfahrungen zu machen?

In der Paar-und Sexualtherapie arbeite ich gerne mit Körper- und Streichelübungen, weil es nach meiner Erfahrung nicht ausreicht, die Zusammenhänge nur zu verstehen; sie müssen auch körperlich gespürt und neu verarbeitet werden.
Wenn ein Mensch kitzlig ist, so hat sich das natürlich über Jahre ins Gedächtnis eingebrannt. Manchmal muss er noch nicht einmal angefasst werden, sondern die bloße Erwartung reicht aus nach dem Motto: „Jedes Mal, wenn jemand meinen Bauch anfasst, ist das unangenehm!“ Dementsprechend wird er vorher die Muskeln anspannen und die Atmung wird flach und eventuell auch schneller sein, was dazu führt, dass das Gewebe nicht gut durchblutet ist. Das alles signalisiert dem Gehirn: Gefahr! Und das wiederum sagt dem Körper, dass er sich für eine Kampf -oder Fluchtsituation bereit halten soll (in der auch  noch so gut gemeinte Berührungen nicht als angenehm empfunden werden können).

vergl. auch: https://paar-fit.de/schmerzen-beim-sex-oder-scheidenkrampf-vaginismus/

Folgende Partnerübungen können Ihnen helfen:

Wenn Ihr Partner Ihnen dabei helfen will, Ihre Kitzligkeit zu überwinden (und vermutlich wird er auch ein eigenes Interesse daran haben), dann sollten Sie sich zu Streichelübungen verabreden. Der Kitzlige sollte bei diesen Übungen unbedingt das Gefühl bekommen, dass er die Kontrolle hat bzw. zurück erlangt. Deswegen sollte der andere zunächst nur vorhersehbare und systematische Berührungen ausführen und ruhig und vor allem langsam streicheln. Fangen Sie unbedingt mit den unverfänglichen Körperstellen an wie z.B. Rücken oder Arme. Der Aktive oder „Gebende“ stellt sich dabei ganz auf den anderen ein; es muss ein „absichtsloses“ Streicheln bleiben (also kein Vorspiel).

Wenn sich die kitzlige Person entspannt hat, können Sie vorsichtig versuchen, die heiklen Körperstellen zu berühren. Am Besten machen Sie das nur mit einer Hand (auf die der andere sich konzentrieren kann). Sie können es auch ankündigen: „Ist es o.k.- ich lege meine Hand jetzt auf deinen Bauch?“. Es hilft auch, wenn die Hand zunächst nur liegen bleibt und der andere die Gelegenheit hat, sich durch langsames und tiefes Atmen zu beruhigen. Festere Berührungen sind übrigens in der Regel weniger kitzlig als leichte.

Damit der Kitzlige das Gefühl der Kontrolle hat, sollten Sie vorher ein Stoppzeichen vereinbaren: wenn das genannt wird, muss der andere sofort und ohne Diskussion (oder Beleidigtsein) mit der Berührung aufhören! Meist reicht es nach meiner Erfahrung schon aus, dieses Vetorecht ein oder zweimal ausprobiert zu haben; danach wird es überflüssig.

Wenn jemand trotzdem noch sehr kitzlig reagiert, kann es helfen, wenn er seine Hände auf die des Partners legt und „führt“. Oder wenn er sich – auf dem Rücken liegend- etwas aufsetzt, so dass er die Hände des Gebenden sehen kann. Anders gesagt: der Kitzlige darf (vorübergehend) alles tun, was ihm die Situation erleichtert und was auf Dauer zu einer Desensibilisierung führt.

(Sollte es sich bei Ihnen um eine Traumatisierung handeln und Sie an unangenehme Situationen aus der Vergangenheit erinnert werden, machen Sie sich klar, wer Sie anfasst! Manchmal hilft es auch, wenn der Partner Sie mit Namen anspricht oder Sie ihn ansprechen, damit Sie die Gegenwart von der Vergangenheit unterscheiden können.)

Wenn es nicht geht – machen Sie eine Pause! Meist reichen wenige Minuten, um sich neu zu orientieren, und dann können Sie die Übung wieder fortführen, wenn Sie wieder ruhig sind. Viele Traumatisierte haben in der Vergangenheit gelernt sich zu schützen, indem sie ihr  Empfinden von ihrem Körper abgetrennt haben; sie ziehen sich komplett in sich zurück. Der andere wird quasi ausgeblendet bzw. ausgeschlossen. Das hat vielleicht auch früher in den traumaischen Situationen geholfen, führt aber beim Sex zu Missempfindungen oder dem Gefühl von Leere und Lustlosigkeit und der Kontakt zum Partner geht dabei verloren. (Neulich beschrieb mir eine Klientin bei der Streichelübung, sie hatte- als ihr Mann sie berührte- das Gefühl, „das da nur Hände sind“.

Üben Sie jedes Mal 10-20 Minuten. Wenn es Ihnen gelingt, festere Berührungen als angenehm zu erleben, dann hat Ihr Gehirn etwas Neues gelernt! Im nächsten Schritt können Sie dann Ihren Partner bitten, nach und nach sanftere Berührungen auszuführen.

Wenn ein Partner verspannt, sobald seine Genitalien berührt werden, kann der andere erst einmal nur die Hand auf die Vulva bzw. den Penis legen. (Diese Berührung nennt der amerikanische Sexualtherapeut David Schnarch „Hand über Scham“.) Er muss die Sicherheit haben, dass der andere nur dann weitermacht, wenn er es will (und vielleicht braucht es dafür 10- 20 Wiederholungen), denn ansonsten würde das Gehirn wieder in den Alarmzustand gehen, und es ist mit der Verspannung vorbei.

Zu einer Verschlimmerung des Phänomens führen todsicher 2 Wege: zum einen Berührungen, die man unangenehm findet und die man lange und mit zusammen gebissenen Zähnen über sich ergehen lässt und zum anderen, sämtliche Berührungen, die in diese Richtung gehen, komplett zu vermeiden. (Eine Fahrstuhlangst hat ja auch noch keiner durch Treppensteigen überwunden). Bei beiden Reaktionen hat man eher das Gefühl, gegen den Partner zu kämpfen und nicht selten mündet das darin, dass die Paare irgendwann gar keinen Sex mehr haben.

Durch die gemeinsame Überwindung der Kitzligkeit, können sich übrigens beide Partner weiter entwickeln und die Verbundenheit kann sich vertiefen. Probieren Sie es aus!

Weiterlesen: https://paar-fit.de/warum-eine-achtsame-beruehrung-fuer-die-erotische-kompetenz-wichtig-ist/

Petra Schmitz-Blankertz

Petra Schmitz-Blankertz

Paar- und Sexualtherapeutin, Suchttherapeutin, Diplom-Sozialarbeiterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie

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