Sex ist sicher die intimste Form der Kommunikation. Als Sexualtherapeutin höre ich oft von Klientinnen, dass es den Männern „doch nur um Sex gehe“. Durch viele Gespräche mit männlichen Klienten weiß ich aber, dass es meistens um viel mehr (oder manchmal auch um etwas anderes geht), nämlich um die Erfüllung von Grundbedürfnissen. Also um Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit und Bestätigung, nach Zuneigung und Zärtlichkeit, nach Zugehörigkeit und Geborgenheit, nach Sicherheit, Vertrauen und Nähe. In der Sexualität können wir diese Grundbedürfnisse körperlich und emotional intensiv erleben. Die meisten Menschen kennen die Sehnsucht danach, für den anderen attraktiv und begehrenswert zu sein, ihn/sie ganz nah spüren zu wollen. Berührungen erreichen uns viel schneller und tiefer als Worte, weil die Körpersprache auch viel älter ist als die gesprochene Sprache (sowohl, was die Entwicklung der Menschheit angeht als auch die jedes einzelnen Menschen, denn in unseren ersten Lebensjahren spüren wir vor allem und können uns noch nicht über Worte verständigen).
Nach einer Studie, in der Frauen befragt wurden, warum sie Sex haben, gaben diese 273 verschiedene Gründe an – und nur der kleinste Teil davon hatte mit sexueller Lust zu tun. Dazu zählten z.B. Antworten wie: „Weil ich danach besser schlafen kann“. Oder: „Weil mein Partner dann bessere Laune hat“. Wir können also sehr viele und auch sehr unterschiedliche Gründe haben, warum wir Sex haben (wollen). Und diese Frage stelle ich auch oft meinen KlientInnen: Warum sollten Sie überhaupt Sex haben – wenn es in der Regel nicht darum geht, ein Kind zu zeugen? Welchen guten Grund könnte es für Sex geben? Oder wäre es Ihnen lieber, wenn Ihr Partner/Ihre Partnerin sagen würde: „Schatz, ich bin mit dem Thema durch – wir können es einfach auch lassen“.
Für guten Sex müssen wir die (Körper-) Sprache des andere lernen und uns auf ihn einlassen. Ich sehe in meinen Sexualtherapien immer wieder, dass es vielen nicht leicht fällt, die körperlichen Signale des anderen wahrzunehmen, aber auch teilweise die eigenen nicht. Viele sind verunsichert, was auch durch den (frühen) Konsum von Pornografie entstehen kann. Dort bekommen (junge) Menschen gezeigt, wie „man beim Sex aussehen soll“, welche Stellungen man draufhaben sollte, wie man „ein guter Liebhaber“ ist. Die gegenseitige Stimulation bis hin zum Orgasmus ist dabei in der Regel ohne Intimität, ohne Beziehung zueinander- es geht nur um Befriedigung und das „performen“.
Es gibt Paare, die Partnerschaftskonflikte haben, bei denen es aber trotzdem sexuell gut läuft. Das scheint aber eher die Ausnahme als die Regel zu sein. Wenn sich jemand schlecht behandelt, vernachlässigt oder nicht gesehen fühlt, dann hat er/sie auch meistens wenig(er) Lust auf Sex.
Männer haben oft – neben der körperlichen Lust – auch das Bedürfnis nach Sex, um sich bestätigt zu fühlen und um ihrer Partnerin nah zu sein. Frauen, die sich zu wenig beachtet fühlen, möchten dann aber nicht „auf Knopfdruck“ dafür bereit stehen (müssen). Dieses Gefühl entsteht, wenn das Paar vielleicht nur noch über Organisatorisches, über die Arbeit oder über die Kinder spricht, aber sich nicht mehr dafür interessiert, wie es dem anderen wirklich geht. Es wird vielleicht noch geredet – aber wenig (Wichtiges) gesagt.
Die meisten sexuellen Probleme (die Fachleute nennen sie „Funktionsstörungen“, auch wenn ich das Wort nicht mag)haben psychische und emotionale Ursachen wie z.B. Leistungsdruck, Versagensangst und Verlustängste, was bei Erektionsstörungen und frühzeitigem Samenerguss eine große Rolle spielt. Menschen, die sexuelle Traumata erfahren haben, erleben schnell Scham, Kontrollverlust und Angst, was Lust und ein Sich-Fallen-Lassen oft unmöglich machen. Wir sind eben im Bereich der Sexualität buchstäblich ungeschützt und nackt – und deswegen auch so sehr verletzbar.
Was passiert in der Verliebtheitsphase?
Zunächst erleben Paare in der ersten Beziehungsphase eine Verliebtheit. Viele haben von Anfang an das Gefühl, „seelenverwandt“ zu sein, auf Anhieb gut miteinander sprechen zu können. Sie projizieren viel in den anderen hinein, idealisieren ihn häufig. Sie haben den Wunsch nach Körperkontakt und Sexualität, es werden Glückshormone ausgeschüttet – alles scheint von alleine zu funktionieren. Die Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit, Angenommensein und Bindung werden mehr als erfüllt – wir fühlen uns einfach wunderbar!
Die Entwicklungsherausforderung ist: ein Paar werden.
Und wie geht es dann nach der Verliebtheit in einer festen Beziehung weiter?
Die Projektionen nehmen ab, wenn die Verliebtheit abnimmt – und umgekehrt. Jetzt beginnt die Auseinandersetzung mit der Andersartigkeit des anderen (Du bist anders als ich – kann ich damit auf Dauer leben?) Die Beziehung verfestigt sich. Meistens hat man ab da auch nicht mehr so viel Sex miteinander. Es lässt aber auch der Druck nach, sich immer anstrengen und von seiner besten Seite zeigen zu müssen. Das Vertrauen nimmt zu, es entsteht mehr Entspannung, beide fühlen sich angenommen. Man wird ein wichtiger Teil im Leben des anderen. Die Beziehung wird vielleicht sicherer, was das Selbstwertgefühl unterstützen kann: ich werde geliebt, obwohl ich nicht perfekt bin. Vielleicht zieht das Paar jetzt zusammen.
Die Entwicklungsherausforderung ist jetzt: ein Paar bleiben.
Und wie geht es dann weiter?
Die Frage nach dem Kinderwunsch haben Paare häufig schon sehr früh geklärt, oft schon in der Kennenlernphase. Vielleicht finden jetzt beide, dass die Zeit gekommen ist, ein Kind zu bekommen.
In der Schwangerschaft fühlen viele Frauen sich unförmig und dick. Es kann passieren, dass der Mann darauf Rücksicht nehmen will und deswegen keine Annäherungsversuche mehr macht, was bei der Frau erst Recht das Gefühl von Unattraktivität verstärkt. (Es gibt aber auch Frauen – und auch Männer – die in der Schwangerschaft besonders viel Lust auf Sex haben). Während Männer früher während der Geburt mit ihren Freunden in die Kneipe gingen, wird heute selbstverständlich von ihnen erwartet, dass sie bei ihrer Partnerin sind. Das kann sicher für die Paarbeziehung ein überaus wichtiges gemeinsames Ereignis sein – aber es ist gleichzeitig auch zu einer moralischen Pflicht geworden. Und mancher Mann fühlt sich überfordert, hilflos oder sogar traumatisiert, besonders dann, wenn die Geburt schwierig verläuft, was sich eventuell auch auf seine Lust auswirken kann.
(Ein ganz anderes Thema ist, wenn es mit der Schwangerschaft nicht klappt. Dann wird es sehr wahrscheinlich eine ganze Zeit „Sex nach Plan“ geben oder sogar eine Kinderwunschbehandlung – beides hat in der Regel massive negative Auswirkungen auf die sexuelle Lust von beiden Partnern.)
Ist das Baby da, geht es darum, die neue Rolle zu finden – als Mutter/ als Vater. Meist wird von einem der Beiden der Job aufgegeben (in der Regel immer noch von der Mutter). Es gibt kaum noch Zweisamkeit. Die Mutter erlebt in der ersten Zeit – hormonell bedingt und durch das Stillen sehr unterstützt – eine Symbiose mit dem Baby, der Vater fühlt sich manchmal ausgeschlossen. Die Frau vermisst die Anerkennung, die sie vielleicht vorher durch ihre Berufstätigkeit bekommen hat. Im Laufe der Zeit fühlt sie sich intellektuell unterfordert. Es kann schon ein langer Tag sein, wenn man dieselben 3 Bilderbücher immer wieder ansieht, dazwischen putzt, wäscht, kocht, Windeln wechselt und, und, und.
Kommt der Mann endlich von der Arbeit, wird ihm schnell das Kind auf den Arm gedrückt mit dem Gefühl: So, jetzt bist du mal dran! Hinzu kommt der Schlafentzug durch das nächtliche Aufstehen, eventuell auch noch finanzielle Sorgen oder der Wahnsinn, dass zur selben Zeit ein Haus gebaut, eine Karriere aufgebaut werden soll. Beide Elternteile haben das Gefühl, nur noch zu funktionieren. Ihr Leben ist oft einfach anstrengend geworden.
Die Entwicklungsherausforderung ist jetzt: eine Familie werden.
Sex findet im ersten Lebensjahr des Kindes oft gar nicht statt, das Paar sitzt abends erschöpft auf dem Sofa vor dem Fernseher oder hängt vor dem jeweiligen Laptop (und was der andere da so genau macht, weiß man eigentlich nicht). Die Frau kämpft mit den körperlichen Veränderungen, die Schwangerschaft, Geburt und Stillen mit sich bringen, der Mann fühlt sich vielleicht nicht mehr begehrt.
Wird das Kind älter, entscheidet es sich, ob das Paar in der Lage ist, sich einen kleinen Teil des alten Lebens zurück zu erobern, z.B. indem man die Hilfe der Großeltern oder die Dienste eines Babysitters einschaltet und wieder als Paar etwas zusammen macht.
Der Mann hat vielleicht schon länger wieder Lust auf Sex, die Frau vielleicht nicht. Sie gewährt ihm manchmal „Gnadensex“. Beide leiden, können aber oft nicht darüber sprechen (sondern schweigen oder streiten). Männer sehen Sex oft als eine schöne Sache, durch die man Nähe herstellen und ein Highlight im stressigen Alltag erleben kann, Frauen wünschen sich mehr Bindung und Beachtung, bevor sie zum Sex bereit sind. Manchmal flüchtet der Mann sich dann hinter seinen PC in die Internetpornografie, während die Frau sich mit anderen Frauen austauscht.
Wenn dieser Prozess schon eine ganze Zeit angehalten hat, geht das Paar vielleicht in die Paartherapie. Dort wird man wahrscheinlich versuchen, im stressigen Alltag wieder Nischen für Gespräche, Unternehmungen und Körperkontakt zu finden, um die Intimität wieder herzustellen.
Es kann aber auch schon sehr entlastend sein zu verstehen, dass diese Prozesse für viele Paare ganz normal sind. Manchmal nennen PaartherapeutInnen diese anstrengende Phase der Familiengestaltung (beide Elternteile sind berufstätig, man hat ein oder mehrere Kinder und man baut vielleicht auch noch ein Haus oder baut sich ein Geschäft auf) die „Rushhour des Lebens“.
Die Entwicklungsherausforderung ist jetzt: trotz Familie wieder ab und zu ein Paar sein.
Als Paartherapeutin erlebe ich in meiner Praxis immer wieder, dass es sich lohnt, diesen Prozess relativ früh zu beginnen, um zu verhindern, dass es eine immer größere Abwärtsspirale der Gefühle gibt, die u.U. in Verbitterung oder im Fremdgehen enden kann.
Wenn Sie mehr dazu erfahren wollen, wie man eine (eingeschlafene) Sexualität verändern kann und wie dabei eine Sexualtherapie hilft, dann können Sie auch meine Fachartikel „Wie kann man in einer langjährigen Beziehung das Feuer wieder neu entfachen“ Teil 1 und Teil 2 auf meiner Homepage lesen
https://paar-fit.de/wie-kann-man-in-einer-langjaehrigen-beziehung-das-feuer-wieder-neu-anfachen-teil-1/https://paar-fit.de/wie-kann-man-in-einer-langjaehrigen-beziehung-das-feuer-wieder-neu-anfachen-teil-2/