Erektionsprobleme (erektile Dysfunktion) – wann hilft Viagra?

Häufig kommen Männer in die Sexualtherapie, wenn sie unter Erektionsproblemen leiden. Meistens waren sie vorher schon beim Urologen, um abzuklären, ob es möglicher Weise körperliche Ursachen gibt. Alles, was die Blutzufuhr zum Penis und den Blutstau erschwert oder verhindert, kann zu Erektionsproblemen führen. Dazu gehören Gefäßverengungen, Herzprobleme, Diabetes, aber auch Hormonstörungen und zu viel Alkoholkonsum. Wenn es den Gefäßen im Penis nicht gut geht, kann das ein Hinweis auf eine Herzerkrankung sein. Deswegen nennen Ärzte den Penis auch „die Antenne des Herzens“, denn schon so mancher Patient konnte vor einem Herzinfarkt oder Schlaganfall bewahrt werden, weil er mit dem Thema Erektionsstörung in die Praxis gekommen ist. (Hier liegt auch ein gewisses Risiko von Potenzmitteln, weil die Männer dadurch vielleicht seltener zum Arzt gehen).
Auch können Medikamente eine Rolle spielen, z.B. Antidepressiva, Neuroleptika, Antiepileptika oder blutdrucksenkende Medikamente.

Das Thema Potenzprobleme ist aber für viele Männer in der Regel ein schambesetztes Thema, mit dem sie spät oder nie zum Arzt gehen und zum Teil auch nicht mit ihrer Partnerin darüber sprechen wollen und können. Dabei ist eine Abnahme der Potenz mit zunehmendem Alter völlig normal!

Huhn oder Ei?

Die volle Erektion kann bereits zu Beginn der Erregung erfolgen, aber mit zunehmendem Alter dauert das Steifwerden etwas länger und häufig muss der Penis auch direkt stimuliert werden. Bei Ablenkung oder Nervosität kann die Erektion teilweise oder auch ganz weggehen. Es ist normal, dass eine Erektion beim Liebesspiel mal mehr oder weniger da ist. Bei vielen Männer lässt sie z.B. nach, während sie ihre Partnerin oral stimulieren. Das bedeutet aber nicht, dass es ihnen keinen Spaß macht.

Männer haben in der Regel jede Nacht Erektionen und auch tagsüber, ohne dass sie teilweise überhaupt an Sex denken. Genauso, wie man eine Erektion mit Lust auf Sex verwechseln kann, kann man eine ausbleibende Erektion mit mangelndem Interesse oder fehlender Erregung verwechseln. Übrigens: Mann kann auch mit schlaffem Penis Lust empfinden und einen Höhepunkt bekommen- die Nervenzellen reagieren ja trotzdem!

Mit zunehmendem Alter (und das beginnt – sexuell gesehen – bei Männern ab dem 25. Lebensjahr) verändern sich die Erektionen in der Häufigkeit und in der Härte. Und der Anstellwinkel verändert sich: stand der Penis in der Jugend nach oben, so ist er dann eher gerade oder neigt sich sogar etwas nach unten bei der Erektion. Auch die Kraft der Ejakulation und die Menge des Ejakulates nimmt ab. Dass es mal nicht klappt, ist (für Ärzt:innen und Sexualtherapeut:innen) völlig normal und müsste gar kein Problem werden, wenn daraus kein Teufelskreis entsteht.

Wie sieht eine solche Angstspirale aus: Mann spürt einerseits Erregung und Lust (also sozusagen das „Gaspedal“ für die Erektion) und gleichzeitig die Sorge, „er“ könne nicht durchhalten (die „Bremse“). Und von Mal zu Mal wird die Bremse stärker, weil die Angst immer mehr überwiegt. In der Regel geht dann die gesamte Aufmerksamkeit auf die Funktion des Penis und damit weg von den Empfindungen und der Lust.

Das wird noch verstärkt, wenn Mann denkt, dass nur eine Erektion und damit verbunden ein Geschlechtsverkehr „guter“ oder „normaler“ Sex ist. Oder er ist sogar der Meinung: ohne Erektion ist man kein „richtiger Mann“.

Übrigens: der Teufelskreis von Leistungsdruck und Versagensängsten kann sogar so weit fortgeschritten sein, dass es auch bei der Masturbation nicht klappt, weil die nur gemacht wird, um sich selber etwas zu beweisen (das sog. „Kontrollwichsen“.) Wenn aber die Erektion beim Solosex funktioniert und/oder es nachts oder morgens spontane Erektionen gibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ursachen im psychischen Bereich liegen.

Sexualtherapeut:innen sagen dazu:

Die Potenz eines Mannes fängt da an, wo die Erektion aufhört. Entscheidend ist also – um den Teufelskreis zu unterbrechen – wie Mann (und natürlich auch die Partnerin) mit einem Problem umgeht:

  • kann er Alternativen ausprobieren?
  • kann er darüber sprechen? (oder zieht er sich schweigend zurück)?
  • kann er gut für sich und sein Bedürfnis sorgen? (Ich bräuchte jetzt, dass Du…. z.B. „mich noch mal anfasst“ oder „wir die Stellung wechseln“ oder „wir eine Pause machen und du mich im Arm hältst“ usw.)
  • kann er Hilfsmittel akzeptieren und einsetzen (Dildo oder Vibratoren, eventuell auch Potenzmittel)

In der Sexualtherapie geht der Weg (der – wenn möglich – gemeinsam mit der Partnerin besprochen und erarbeitet wird) zunächst darüber, dass die Verknüpfung von „Sex = Geschlechtsverkehr“ unterbrochen wird, indem man vereinbart, dass es vorerst keinen Geschlechtsverkehr geben soll. Das klingt zunächst einmal paradox, weil man sich vielleicht vorstellt, dass es „so richtig los geht, wenn man eine Sexualtherapie macht“, aber es ist erst einmal wichtig, von den (negativen) Bewertungen wegzukommen. Also weg vom „Hoffentlich klappt es diesmal“ hin zu „Was ist für meinen Körper und meine Seele eine schöne, erregende Situation? Was sind gute Rahmenbedingungen für mich? Was fühle ich dabei? Welche Gedanken habe ich dabei (bzw. wie kann ich störende Gedanken abstellen?). Und was fühlt und denkt meine Partnerin?

Das Leben fordert uns ja ständig heraus. Das fängt mit dem alltäglichen Stress an (z.B. im Beruf. Oder „Können wir Sex haben, wenn nebenan das Kind schläft?“). Hinzu kommen Erkrankungen, vielleicht finanzielle Sorgen, gegenseitige Verletzungen in der Beziehung, usw. Körper und Seele gehören beim Sex für Viele zusammen – es geht auch häufig um Themen wie „Vertrauen“ und „Intimität“. Wenn das Paar lernt, über Bedürfnisse und Ängste zu sprechen, so entsteht nach meiner Erfahrung als Sexualtherapeutin oft eine neue Form der Sexualität, wo die Erektion nicht das alleinige Kriterium dafür ist, ob es gut oder schlecht war. Wichtiger wird das Gefühl, dass man sich nahe ist, dass man sich dem anderen zeigen kann – ohne Leistungsdruck – mit Stärken und Schwächen.

Viele Klientinnen haben mir berichtet, dass sie nicht unter den Potenzproblemen ihres Partners gelitten haben, sondern darunter, dass er sich vollkommen zurückgezogen hat und nicht mit ihnen sprechen wollte.

Wenn Mann also nervös wird (z.B. bei einer neuen Partnerin) oder sich gestresst fühlt, wenn er sich über seine Partnerin geärgert hat, wenn er große Belastungen oder Sorgen im Job hat – all das hat Auswirkungen auf seine Lust und die Erektion. Vielleicht sollte er sich dann eher fragen, warum er unter solchen Bedingungen überhaupt eine Erektion bekommen sollte? Die Antwort steckt dabei meist in der falschen Erwartung, dass „ein richtiger Mann immer kann“.

So habe ich z.B. mit einem Klienten herausgefunden, dass er immer dann Erektionsprobleme hatte, wenn er sich in der Beziehung zu einer Partnerin noch nicht sicher fühlte (also z.B. am Anfang. One-Night-Stands waren deswegen für ihn nur Stress) oder wenn seine Seele diese Beziehung nicht mehr wollte, sein Körper aber so tun wollte, als sei alles o.k. (Einmal hatte er sich von seiner Freundin getrennt, hat es dann aber wieder rückgängig gemacht, weil sie so sehr geweint hatte und sie ihm leidtat. Als sie wieder zusammen waren, hatte er Erektionsstörungen entwickelt, weil er eigentlich gar nicht mehr mit ihr zusammen sein wollte.)

Zuletzt möchte ich auch auf das Thema Potenzpillen eingehen und die Frage, ob und wann sie helfen (können).
1998 kam Viagra auf den Markt (die blaue Pille). Seit 2013 das Patent ausgelaufen ist, kann man sie unter dem Namen „Sildenafil“ preiswerter bekommen. Hinzu kamen noch Cialis (Tadalafil), Levitra (Vardenafil) und zuletzt Spedra. Der Unterschied in den Medikamenten liegt darin, wann die Wirkung einsetzt (zwischen 15 – 60 Minuten nach der Einnahme), in der Wirkdauer (ca. 3-5 Std.) und im Preis (von 19€ pro Tablette (!) – das erhöht den Leistungsdruck bis 7-8€.) Leider werden die Kosten in der Regel nicht von der Krankenkasse übernommen! Sie müssen aber vom Arzt verschrieben werden.

Potenzmittel können bei ca. 70 -80% der Erektionsproblemen helfen (vorausgesetzt, dass es sich nicht um eine körperliche Erkrankung handelt), aber sie machen keine oder nicht mehr Lust! Die sexuelle Stimulation muss trotzdem vorhanden sein und als erregend erlebt werden. Indirekt kann sich natürlich wieder mehr Lust einstellen, wenn Mann erlebt, dass „es“ wieder funktioniert, und er sich vielleicht deswegen nicht mehr zurückzieht und wieder mehr männliches Selbstwertgefühl entwickelt.

Wenn Sie Potenzpillen ausprobieren wollen, so machen Sie es nicht nur 1x, denn nicht jede sexuelle Situation ist gleich. Es kann trotzdem notwendig oder sinnvoll sein, wenn Sie diesen Prozess von einem Sexualtherapeuten / einer Sexualtherapeutin begleiten lassen, damit Sie Sie etwas an Ihrer Einstellung verändern können (lesen Sie dazu meinen Blog „Wann ist ein Mann ein Mann?“ und „Mein Penis und Ich oder: Die Behandlung von Erektionsstörungen in der Sexualtherapie“). Oder an Ihrer Technik (lesen Sie hierzu „Mein Penis und ich, Teil 2“). Die Einnahme einer Pille kann eine gute, legitime Möglichkeit sein, aus der Angstspirale heraus zu kommen, reicht aber nach meiner Erfahrung dann nicht aus, wenn sich das Problem schon länger etabliert hat.

Wie man ein freundschaftliches Verhältnis zu seinem Penis entwickeln kann – auch wenn „er“ nicht immer funktioniert – schreibt einer meiner Klienten:

„Mein lieber Penis

Jetzt darf ich dir schreiben.

Was soll ich sagen? Wir kennen uns doch schon so lange…

Vielleicht fange ich erst mal mit einem Danke an. Danke für die Geduld in frühen Tagen. Dass wir beiden Spaß miteinander haben können, haben wir ja recht spät entdeckt. Fürs Pinkeln muss ich mich ja nicht bedanken. Und als wir dann endlich Spaß miteinander hatten, habe ich es dir dann häufig schwer gemacht. Du wolltest, aber mein Kopf hat alles kompliziert gemacht. Du bist so ein tolles Ding. Du wurdest regelmäßig für deine Größe und Form gelobt. Auf dich kann man schon Lust haben. Und jetzt stecken wir gerade voll in der Ebbe. Nix los beim richtigen Sex.

Selbstbefriedigung ist zwar nett, aber doch ein anderes nicht so spannendes Spiel. Wir werden beide nicht jünger, aber ich glaube wir werden zum richtigen Zeitpunkt noch wieder Spaß zusammen bekommen. Hab Geduld, es kommen wieder bessere Zeiten.

Und dann starten wir durch…“

 

Petra Schmitz-Blankertz

Petra Schmitz-Blankertz

Paar- und Sexualtherapeutin, Suchttherapeutin, Diplom-Sozialarbeiterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie

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